Auf "A Paranormal Evening With The Moonflower Society" erfindet Sammet das Rad nicht neu, sondern führt seinen Weg konsequent fort und geht einmal mehr völlig in AVANTASIA auf. Das zeigt nicht nur das wieder einmal fantastische Cover-Artwork, das sich stark an den Vorgänger "Moonglow" anlehnt, sondern auch die Liste an Musikern (Flitzefinger Sascha Paeth, Tastenzauberer Miro Rodenberg und Drum-Maschine Felix Bohnke) und Gastsängern. AVANTASIA setzen mittlerweile vorrangig auf ein eingespieltes Ensemble aus Akteuren, das bestens bekannt ist und hervorragend funktioniert. Ergänzt wird es diesmal um NIGHTWISH-Frontelfe Floor Jansen und PRIMAL-FEAR-Muskelpaket Ralf Scheepers.
Im direkten Vergleich zum 2019 veröffentlichten Vorgänger klingt "An Eveneing With The Moonflower Society" mit nur einem Epos insgesamt wieder etwas klassischer und straighter, ohne die liebgewonnenen bombastischen, operesken und an MEAT LOAF angelehnten Trademarks zurückzufahren.
Die Songs auf "A Paranormal Evening With The Moonflower Society"
Es gab ja mal einen von den Medien heraufbeschworenen "Streit" zwischen AYREON und AVANTASIA, der in der "Elected"-EP samt Kollaboration, Freundschaft und gegenseitigen Gastbeiträgen gipfelte. Mit seinem sympathisch billig-schaurigen Einstieg und Orgelsounds erinnert der Opener "Welcome To The Shadows" in den Strophen und Zwischenspielen unweigerlich an AYREONs "Transitus"-Album, während der Chorus mal so typisch AVANTASIA ist und direkt klar macht, was Sache ist.
Schon der Gänsehaut-Einstieg mit atmosphärisch dunklen Chören, Screams von Ralf Scheepers, durchgedrückten Doublebass-Drums und filigranen Leads lässt es ganz schnell erkennen: "The Wicked Rule The Night" ist ein absoluter AVANTASIA-Knaller, wie von einem der "Metal Opera"-Teile ins Jahr 2022 transportiert und doch mit Anleihen der letzten beiden Alben versehen. Der großartige, ausladende Chorus macht "The Wicked Rule The Night" denn erst recht zu einer Wahnsinns-Nummer!
Mit "Kill The Pain Away" schließt sich eine wunderbare Nummer mit einer unverwechselbaren, stark aufgelegten Floor Jansen an, die durch Choräle, luftige Atmosphäre und einen bombastisch-eingängigen Refrain punktet.
Auf eine erneute Zeitreise zurück zu den AVANTASIA-Wurzeln entführt "The Inmost Light". Mit melodischen Leads und Vocals von Michael Kiske, dessen charakteristische Stimme in den vergangenen Jahrzehnten absolut gar nichts von ihrer Faszination verloren hat, ist der klassische Uptempo-Song einmal mehr ein höchst gelungenes Beispiel für den urtypischen AVANTASIA-Sound - und dafür, wie perfekt Kiske und Sammet miteinander harmonieren.
Eine kleine Verschnaufpause bietet die wundervolle, leicht melancholische Halbballade "Misplaced Among The Angels", in der Floor Jansen ein perfektes Duett mit Tobias Sammet bildet, bevor der Midtempo-Rocker "I Tame The Storm" wieder fester zupackt. Die Nummer mit grandiosem Refrain ist perfekt auf die raue, ausdrucksstarke Stimme von Jorn Lande zugeschnitten.
"Paper Plane" ist eine modern angehauchte, leichtfüßige und in dieser Form für AVANTASIA recht ungewöhnliche Nummer, die etwas verhalten und unscheinbar klingt. Die Explosion im Refrain wünscht man sich zwar schon früher, doch das tut der magischen Stimmung dieses Seelenschmeichlers keinen Abbruch. Ronnie Atkins und Bob Catley teilen sich ganz wundervoll die Vocals.
Der MAGNUM-Sänger ist dann auch der Star des Titeltracks, der hundertprozentig auf Catley zugeschnitten wurde. Musikalisch stellt "The Moonflower Society" tanzbaren 70s Rock mit starkem Keyboard-Einsatz dar, poppig angehaucht, hochmelodisch und mit toller Instrumentalpassage versehen, manchen vielleicht eine Spur zu seicht - und definitiv ein willkommener Kontrast zu den härteren Nummern des Albums.
Eine solche ist "Rhyme And Reason": vor einem Doublebass-Gewitter erklingen hypnotische Gitarren und Eric Martins gut geölte Röhre, der Track geht gut nach vorne und wirkt dynamisch. "Scars" hingegen punktet als atmosphärische Midtempo-Nummer, in dem die Vocals von Geoff Tate etwas zu weit nach hinten gemixt wurden. Der Chorus ist wieder einmal erste Sahne.
Das zehnminütige "Arabesque" beendet das neunte AVANTASIA-Album schließlich als stimmungsvolles Epos, das mit atmosphärischen Keyboards und heroischen Dudelsäcken beginnt, bevor es dann mit (natürlich) arabesken Melodien losgeht. Die Nummer besticht durch ein eindringliches, mystisches Feeling, das die beteiligten Sänger Jorn Lande und Michael Kiske im ausladenden Refrain passend untermalen. Im Hintergrund erklingen bombastische Chöre, das anfängliche Dudelsack-Thema wird später erneut aufgenommen, was eine sehr interessante Mischung ergibt.
"Arabesque" ist ein würdiger Abschluss, auch, wenn es nicht ganz die Qualität vorheriger Longtracks wie "Let The Storm Descend Upon You", "Ghost In The Moon" oder "The Raven Child" (einfach grandios!) besitzt.
Alles beim Alten bei AVANTASIA?
Tobias Sammet hat AVANTASIA mit "A Paranormal Evening With The Moonflower Society" definitiv nicht neu erfunden, sondern an einigen Stellschrauben gedreht, wodurch der Sound etwas luftiger und rockiger, ein Quäntchen mystischer und magischer klingt.
Auch, wenn die gewohnte Rezeptur mit nur leichten Verfeinerungen aufwartet und die zweite Hälfte nicht gleichermaßen durchgehend vom Hocker reißen kann wie die ersten fünf, sechs Nummern: AVANTASIA bleiben sich treu, klingen weiterhin einzigartig und liefern mit "A Paranormal Evening With The Moonflower Society" erneut ein eindrucksvolles Werk ab, in dem Gastsänger, Instrumentalisten, Melodien, Arrangements, Dynamik und Klang absolut stimmig zueinander passen. Album Nummer zehn dann 2025, lieber Tobi?
"A Paranormal Evening With The Moonflower Society" Trackliste:
01. Welcome To The Shadows
02. The Wicked Rule The Night (feat. Ralf Scheepers)
03. Kill The Pain Away (feat. Floor Jansen)
04. The Inmost Light (feat. Michael Kiske)
05. Misplaced Among The Angels (feat. Floor Jansen)
06. I Tame The Storm (feat. Jorn Lande)
07. Paper Plane (feat. Ronnie Atkins)
08. The Moonflower Society (feat. Bob Catley)
09. Rhyme And Reason (feat. Eric Martin)
10. Scars (feat. Geoff Tate)
11. Arabesque (feat. Jorn Lande & Michael Kiske)
AVANTASIA Line-up:
Tobias Sammet - vocals, bass
Sascha Paeth - guitars
Michael „Miro“ Rodenberg - keyboard
Felix Bohnke - drums
Gastsänger:
Ralf Scheepers (PRIMAL FEAR)
Floor Jansen (NIGHTWISH)
Michael Kiske (HELLOWEEN)
Jorn Lande
Ronnie Atkins (PRETTY MAIDS)
Bob Catley (MAGNUM)
Eric Martin (MR. BIG)
Geoff Tate