Megalith - Gipfelstürmer -- Storming the Summit


Stil (Spielzeit): (sehr eingängiger) Avantgarde Metal
Label/Vertrieb (VÖ): ARTicaz / CMS (20.06.08)
Bewertung: 9 / 10
Link: http://www.megalith.org
http://www.myspace.com/megalied

Zitat Info-Sheet: „MEGALITH sind die Nachfolgeband des Ex-AGATHODAIMON Gitarristen Hyperion. Während AGATHODAIMON … relativ traditionellen Gothic-Metal spielen, hat sich Hyperion mit MEGALITH in eine avantgardistische und experimentelle Richtung weiterentwickelt. Ohne dass der Sound zusammengewürfelt klingen würde, gelingt es MEGALITH auf `Gipfelstürmer´, Elemente aus dem Black-, Heavy-, Gothic- und Folk-Metal zu vereinen, eine Dosis Neue Deutsche Härte beizugeben und ein paar Ausflüge in den Neo-Klassik Bereich zu unternehmen.“ Ja, kommt in etwa hin, kann man erst mal stehen lassen.

Aber fangen wir mal mit dem ersten Eindruck an und der ist gewöhnlich ein optischer und diesmal ungewöhnlich bemerk-würdig: das Logo sieht aus wie das einer Pagan Metal Band in Zeiten der Technokratie. Dem schließt sich die Bildersprache des Motivs an, formal: das Naturmotiv wird gebrochen durch den artifiziellen Charakter der Umsetzung. Es hat den Charme einer Computergraphik. Auch inhaltlich regiert der dialektische Widerspruch: das scheinbar Ewige des Felsens konkurriert mit der Vergänglichkeit in Gestalt der Erosion. (Die hier als Perspektive bildendes Loch wirksam georden ist.) Und dann ist das, was wir da vordergründig sehen und den Durchblick verschafft, ja ein MEGALITH, ein großer Stein, wenngleich die Schöpfer der Megalith-Kultur, diejenigen die z.B. Stonehenge (ach ja, so hieß ja die Vorgänger-Combo von MEGALITH) errichteten, wohl andere Intentionen hatten. --- Postmodern geradezu, dass der Titel gebende Gipfelstürmer in mehreren Schritten herangezoomt werden muss, und dennoch nur winzig klein bleibt. Haupt- und Randfigur zugleich. Schöne Idee. Bei soviel Interpretamenten auf den ersten Blick, haben wahrscheinlich sogar die Muster der Schneefelder ihre Bedeutung...

Nun aber die Musik. Die weichen Fakten hat uns Hyperion ja selbst schon mitgeteilt. Natürlich kann so ein Konglomerat bös’ ins Auge gehen; aus ökonomischer Perspektive, weil man sich zwischen alle Stühle pflanzt. Aus musikalischer, weil derlei Experimente häufig genug auch nur gewaltsam und gewollt klingen. Und so, als wollte man nur in möglich viele Taschen greifen. Beides hängt natürlich zusammen. Kann die Band komponieren, dann ist das Ergebnis homogen und niemand schöpft einen üblen Verdacht; und eben das gilt hier bei allem Experiment: Das Gemisch ist absolut gut verdaulich und dennoch wegen der verschiedenen Zutaten wirklich multifunktional einsetzbar. Vielleicht ist dies die gelungenste Überraschung: Dass derlei stilistisches Durcheinander völlig logisch und zugleich spielerisch klingt. Aber zugegeben, sooo gewagt ist die Kombi denn auch nicht, denn zwischen den o.g. Genres sind die Grenzen durchweg fließend.

Dennoch muß man wirklich komponieren können, damit das wie " natürlich gewachsen" wirk. Die Bande kann und so ist ihre Verwurstung diverser Stilelemente insofern wirklich avantgardistisch, im wahrsten Sinne des Wortes… fortschrittlich. (Viele so genannte Avantgardisten heute klingen ja wie die angestaubte Avantgarde der späten 80er.) --- Einerseits ist es schlichtweg brillant, was hier passiert; am geilsten sind MEGALITH in den symphonisch-gothigen und den folkigen Parts. Da werden grandiose Melodien wie Dutzendware `rausgehauen. Selbiges gilt aufgrund der Nähe zum Gothic auch für die Neo-Klassik-Anteile. Das Riffing ist auch nicht verkehrt; die feiste und glasklare Produktion knallt mächtig. Drum `n Base sind wuchtig. Alles gut. Sogar wenn es mal richtig speedig wird, die Riffs dem Black Metal entliehen sind, geht es fett und druckvoll zur Sache. Bis hierhin ist das ein klarer 9,5 Punkte Kandidat.

Aber was in obiger Aufzählung vielleicht noch der Erwähnung bedurft hätte, ist das pathetisch Liedermacherhafte, das auch deutschen Mittelalterrockern gern mal entfährt und bei mir ein peinliches Berührtsein auslöst. Der Gesang teilt sich annähernd paritätisch in Black Metal Gekeife / Growls und Klargesang auf. Beides überzeugt mich im Kontext nicht wirklich, wobei der harte Teil nicht wirklich schlimm ist, er nimmt den tollen Kompositionen aber etwas den Wind aus den Segeln. Der Klargesang ist allerdings ein echtes Problem. Warum das immer die Grenze zur Peinlichkeit streift oder über sie hinausgeht, wenn wir Deutschen auf Deutsch den Pathetischen rauslassen, weiß ich nicht. Tatsache ist, dass die streckenweise erfreulich guten Texte daran leichten Schaden nehmen.

Es befinden sich nur zwei Stücke in englischer Sprache drauf, beides Bonus-Tracks. Einmal wird –erstaunlich geil variiert, erstaunlich kongenial– MOTÖRHEADs „March ör Die“ gecovert, einmal gibt’s eine Akustik-Version eines eigen Tracks. Musikalisch definitiv noch nicht einmal die besten Stücke, doch prompt funktioniert bei „Trail of Tears“ der Klargesang ganz prächtig. Spätestens also beim allerletzten Song wird klar, dass Orpheus ein passabler Sänger ist. Es gibt also kein stimmliches Problem; dennoch ist die Art, in der der klare Gesang die Texte interpretiert, mir manchmal einfach „too much“.


Trotz dieser zaghaften Negativ-Kritik an dieser Kombination Text/Klargesang sind die Texte als solche der positiven Erwähnung wert. Ganz Allgemein: es geht um die Verbreitung dessen, was Niklas Luhmann „inkongruente Perspektiven“ nannte. Inhaltlich sind die verbreiteten Ansichten gern mal alles andere als politisch korrekt. Es handelt sich dabei aber erfreulicherweise nicht um Provokation als Selbstzweck, als vielmehr um die Provokation zum Selbst-Denken. --- Wurde auch mal Zeit, dass dafür nicht nur plädiert, sondern dass vorgeführt wird, wie so etwas geht. Z.B. Chomeini wohlwollend zu zitieren und zugleich den Patriotismus der Yankees zu loben; oder: das deutsche Gemüt für sein ewiges Selbstmitleid und seine Handlungsunfähigkeit anzuprangern und dennoch auf dessen Identität zu pochen, das sind intellektuelle Übungen, die wollen erst einmal vollbracht sein. Jedenfalls ist es erfrischend, endlich mal deutsche, auch politische Texte geliefert zu bekommen, die sich jenseits der standardisierten, ausgelatschten Gedankengänge bewegen. --- Negativ kritikwürdig ist in Bezug auf die Texte allenfalls ihre lyrische Umsetzung, sprich Metrik, Reimschemata; da gehen der hohe Anspruch und Wirklichkeit auch schon mal getrennte Wege; und auch das Zusammenspiel von Vokabular und Grammatik wirkt nicht immer stilsicher und das lässt sich nur bedingt durch die Ironie und den Sarkasmus der Texte wegerklären.

Trotz der beiden angesprochenen, leicht zu vernachlässigenden Mängel kann man kaum weniger als 8,6 Punkte (aufgerundet auf 9) für dieses feine Erlebnis vergeben. Dafür steckt da a) viel zu viel Arbeit, Herzblut und Intelligenz drin und b) ist das Ergebnis vor allem musikalisch einfach zu kompakt und vielschichtig, zu geil. Bangen + Nachdenken, eine neue Extremsportart, die jeder Hörer o.g. Genres unbedingt mal ausprobieren sollte.