Bring Me The Horizon - POST HUMAN: NeX GEn Tipp

Bring Me The Horizon - POST HUMAN: NeX GEn
    Industrial-Futuristic-Emo-Astronomic-HipHop-Electro-Core

    Label: Sony/RCA
    VÖ: 24.05.2024
    Bewertung:10/10

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Die fünf Herren von BRING ME THE HORIZON haben mal wieder ein Studio betreten. Das Resultat ist ein kreativer Meilenstein. Ein kunterbuntes Potpurri, in dem alle stilistischen Fäden der vergangenen Jahre zusammenlaufen. Ist das Kunst? Ja! Kann das weg? Um Himmels Willen, nein!

Nachdem sich die Band durch nahezu alle Genres der modernen Klangerzeugung durchgearbeitet hat, liegt nun der neueste Streich des Quintetts um Mastermind Oli Sykes in Form eines Albums vor, das an die 2020er Veröffentlichung "Post Human: Survival Horror" anknüpft und nach der Rückkehr zum Metal endgültig alle bisher erkundeten Stilexperimente vereint.

Ein weiteres Mal hat man sich auf die Zusammenarbeit mit Produzent Zakk Cervini verlassen, sodass die beiden Platten der "Post-Human"-Reihe nun als harmonisches Ganzes erscheinen. Auf der neuen Scheibe wird abgefahren elektronisch, metallisch martialisch, ungeahnt kreativ und hoffnungslos überproduziert abgeliefert. Und genau diese Kombination aus zu viel von allem und grenzenlosen Stileskapaden macht das Album einzigartig. Das mag nicht jedem gefallen, doch das muss es auch nicht.

Excuse me Sir, what genre is this? – Yes. 

Auf "POST HUMAN: NeX GEn" stehen neue Radiohits neben Songs, die diesen Status schon als Singleauskopplung erreicht haben, und die wiederum neben Industrial-Futuristic-Emo-Astronomic-HipHop-Electro-Core. Nicht alles ist radiotauglich, doch während die Hits längst ihre eigenen Dynamiken in den Playlists und Radiostationen der Welt entfaltet haben, stehen sie auf "NeX GEn" in einem anderen Licht und Kontext: es ist quasi unmöglich, das Album im Zufallsmodus zu hören, denn nahezu alle Tracks gehen nahtlos ineinander über. Alles ab "DArkSide" kann man theoretisch auch als einen einzigen Song mit verschiedenen Abschnitten hören, denn sie ergänzen sich gegenseitig, und die Übergänge sind genial.

Bemerkenswert ist auch, dass das Album an keiner Stelle einsackt. Die Energie wird gehalten, die Spannung bleibt geladen. Wir werden entführt in eine gestörte, futuristische Welt, in der alles möglich und kaum ein Ton vorhersehbar ist, gleichsam aber nichts langweilig wird.

Ausdrucksstarke Musik einer ausgefallenen Persönlichkeit

Spätestens jetzt sollte klar sein, dass BRING ME THE HORIZON ein kommerziell erfolgreicher künstlerischer Ausdruck aller Gemütszustände, Gedanken und Ausbrüche eines Oli Sykes ist. Wie authentisch das ist und inwiefern der Herr nicht selbst Kunstfigur ist, steht auf einem anderen Blatt – doch für die Fans ist es glaubhaft. Man identifiziert sich mit seiner Musik, eben weil es kein ausdrucksloser Radiopop ist.

Wenn die volle Bandbreite des Metal auf zahlreiche Facetten moderner Elektropopmusik stößt, schafft das beeindruckende Möglichkeiten des musikalischen Ausdrucks einer extrem ausgefallenen und stark emotionalen Persönlichkeit. Sich das zu trauen, ist eine Sache – es erfolgreich auf- und durchzuziehen eine völlig andere. Das neue Album steht genau in diesem Lichte: Wir erleben ein kunterbuntes musikalisches Potpurri, das wie ein expressionistisches Gemälde die Welt eines Oli Sykes zum Ausdruck bringt. Die Band zeigt deutlich und mehr denn je, wie viel künstlerisches Potenzial in ihr steckt.

Ein erstes Fazit ...

Es bleibt festzuhalten: "POST HUMAN: NeX GEn" hört sich in weiten Teilen an wie eine ausgewachsene Psychose, die auf seltsame Weise irgendwie ansprechend ist. Wer ein leicht verdauliches und eingängiges Rock- und Alternative-Metal Album erwartet hat, wird sicherlich auf voller Linie enttäuscht, auch wenn einige Hits dabei sind. Denn selbst die sind komplett abgedreht.

Doch vielleicht ist das auch das Rezept, mit welchem es BMTH seit Jahren gelingt, die unangefochtene Spitze der erfolgreichsten Bands aus der Hartwurst-Szene zu bilden. Der Spagat in andere musikalische Gefilde gelingt ein weiteres Mal fulminant. Es mag nicht jedem gefallen, doch die künstlerische Brillanz ist auffällig und kann kaum verleugnet werden. Wenn es die Jungs aus Brighton auch weiterhin schaffen, die großen Bühnen der Welt vor Rock-, Metal- und Pop-Fans gleichermaßen zu füllen, ist das verdient und sicherlich nicht trotz, sondern auch wegen Alben wie diesem möglich. Ich ziehe meinen Hut.

... aber was sagt der Musik-Sommelier? 

Mir bleibt abschließend ein Vergleich, der die Sinneseindrücke von "NeX GEn" vielleicht am anschaulichsten illustriert: Stell Dir mal einen Winzer vor, der schon schwere und leichte Rotweine, spritzige und ausgefallene Weißwein-Cuvees produziert hat, der Wasser zu Wein verwandelt und auch im Bier brauen Meister ist. Was fehlt in dessen Katalog? Genau. Ein Rosé, vielseitig und ausgefuchst wie ein Film von Francis Ford Coppola, so surreal wie ein Gemälde von Dalí. 

Ein Wein mit vorsichtigem Auftakt mit soliden und altbewährten Klassikern des Aromaspektrums, fruchtig und bekömmlich mit tänzelnden Strukturen, der schnell jedoch alle Geschmacksrichtungen- und Verirrungen des guten Stils ausgefallener Gesellschaften abgrast. Ein Wein, der sich bestimmend und raumeinnehmend Zunge und Gaumen hinab peitscht, pfeifft und prügelt, schlägt, streichelt und schmeichelt. Wie ein Teenager allein im Elternhaus lässt er nichts unversucht, provoziert und zerstört, hangelt sich von Exzess zu Eklat, düster und benommen.

Doch er fängt sich, zeigt eine brave Seite: er reift heran und entblößt einen fulminanten Abgang, der zugleich melancholisch, mächtig und mutig nachhallt, selbst lange nachdem er längst verschwunden ist.
Ein solcher Wein wäre nicht unbedingt bekömmlich, wohl aber bemerkenswert und einzigartig. Insbesondere mit der seltenen Eigenschaft, für sich ein einziges abgefahrenes und spezielles Kunstwerk zu sein, das dennoch in den großen Weinregalen renommierter Händler und Kenner, wohl aber auch der Trinker und Kunstbanausen seinen verdienten Platz findet. "Post Human: Nex GEn" wäre genau dieser Rosé. Chapeau! 

Jakob

Ende der 90er war ich auf einmal da und entdeckte bald die Genesis- und Rolling-Stones-Platten meines Vaters.  Mit 11 fand ich entdeckte ich Metal, seitdem halten meine Eltern das für eine Phase, sind aber trotzdem stolz. 

Anmerkungen und Empfehlungen, Lob und Drohbriefe, Kochrezepte und Sonstiges: gerne per Instagram an jackl_p ;-)