Stil (Spielzeit): Progressive Metal/Rock (61:45)
Label/Vertrieb (VÖ): Snakebite Records/Point Music (06.01.06)
Bewertung: Erfrischend anders, aber mit Schwächen (6,5/10)
Link: www.medeamusic.nl
Progressive Rockmusik hat viele Gesichter: Da gibt es einerseits Urgesteine der Szene, stilprägend wie innovativ, die als Wegbereiter bis heute unvergessen blieben, auch wenn sie nur noch als Schatten ihrer glanzvollen Tage existieren (GENESIS) oder sich gar mittlerweile ganz aufgelöst bzw. zerstritten haben (PINK FLOYD). Der Progressive Metal andererseits trieb in den späten Achtzigern seine Blüten, deren prächtigste Exemplare teilweise bis heute Bestand haben (FATES WARNING, QUEENSRYCHE), überdies nicht zu vergessen die Giganten, damals wie heute (RUSH, DREAM THEATER) und natürlich die innovativen Momente der Bands, die sich zum Ziel setzten, an sich schon „fortschrittliche“ Musik an ihre Grenzen zu führen, zu verändern und mit diversen genrefremden Einflüssen anzureichern (MUSE, FAITH NO MORE).
Was anhand dieser Aufstellung erkenntlich gemacht werden soll: Prog kann heutzutage all das sein, was nicht sofort in eine andere Schublade passt, und dementsprechend versuchen sich diverse Projekte und so genannte „Bands“ immer wieder daran, auch strukturell Genregrenzen aufzubrechen und zu erweitern. Dabei generell beliebt ist und war schon immer die Fusion aus der klassischen Gattung der Oper und wie auch immer geartetem Rock bzw. Metal. THE WHO eröffneten mit „Tommy“ seinerzeit den munteren Reigen, spätere Perlen wie AYREON führten die Idee weiter. Und nun macht sich ein kleiner Keyboarder aus dem noch kleineren Holland (hehe – Seitenhieb pünktlich zum Fußballjahr geglückt) daran, unter dem Namen MEDEA mit „Room XVII“ einen neuen Beitrag zum Thema „Rock-„ – pardon – „Prog-Oper“ unters Volk zu bringen.
Die Liste der Protagonisten derweil liest sich nicht sonderlich spektakulär. An die Seite Henry Meeuws’, des Hauptverantwortlichen, der hauptberuflich bei CASUAL SILENCE in die Tasten greift, gesellen sich Mitglieder tendenziell eher einschlägig bekannter Progkapellen wie MENNEN, DAY SIX oder PROJECT FEAR – einzige Ausnahme Edwin Balogh von den bereits erwähnten AYREON. Das muss allerdings freilich nichts bedeuten – besser gute Musik mit einfachen Mitteln gemacht, als mit Namen geprotzt und dabei Senf gebastelt.
Und das Ergebnis ist alles, nur nicht alltäglich! Was zunächst ins Ohr fällt ist die – sagen wir – gewöhnungsbedürftige Produktion. Alle Drums klingen seltsam weit weg, Stimmen entweder fast schon trocken intim oder aber ebenfalls weit entfernt. Das Geld für Orchestermusiker indes fehlte wohl gänzlich – nur so kann ich mir die teilweise fürchterlich künstlichen Synthies gerade im Opener erklären. Dabei machen Harfe und Streicher noch eine ganz brauchbare Figur, nur der Oboen(?)-Verschnitt verursacht Ohrenkrebs. Nun ja, es hat eben nicht jeder die Kohle, sich die Prager Philharmoniker von Amazon liefern zu lassen.
Nächster Ansatzpunkt, der sich in dieser Form auch durch die gesamte Platte zieht, ist die Auswahl der Stimmen. Gerade im Opener kann der männliche Protagonist in den Legatopassagen bei weitem nicht das Niveau seiner wütenden und insgesamt gut dargebotenen Parts halten. Doch muss ich zugeben, ein wenig unschlüssig zu sein, ob ich ob der Auswahl der Sänger unglücklich sein soll, denn irgendwie, auf höchst subjektive Weise, passen die Stimmen ins Gesamtbild, mit ihrem brüchigen Tremolo und ihrem schwebenden Charakter. Auch und gerade die Frauenstimme bietet Hörgenuss auf hohem Niveau – so müssen wohl Engel klingen –, und auch der Klang im anschließenden Duett überzeugt. Was man sich hätte ganz klar sparen können und müssen, sind die Gitarrenfrickeleien. Zum einen wirken diese in Room XVII, ein Stück von so schlichter Schönheit und schlüssiger Struktur wie nachträglich eingefügt, weil man auf einer Platte mit „Prädikat Prog“ so was ja angeblich braucht, zum anderen sind sie schlicht und ergreifend schlecht dargeboten, und wenn schon Frickeleien, dann aber auch bitte nur von Musikern, die sich der Aufgabe als gewachsen erweisen, sonst verkommt die Übung leicht zur Schüleretüde.
Interessant: Was sich im ersten Stück herausstellt, gilt im Wesentlichen für das gesamte Werk. Kompositorisch hat man ganze Arbeit geleistet, die Melodien laden zum Träumen und zuhören ein und haben derart hohes Niveau, dass man sich gelegentlich beim Gedanken ertappt „ja, was wäre, wenn DAS bessere Musiker in die Hand bekommen hätten“. Aber bei aller Kritik: Richtig schlecht machen sie’s meistens doch auch nicht. Hier und da wackelt mal ein Harmoniegesang, stockt mal ein Gitarrenarpeggio oder wünscht man sich ein anspruchsvolleres Drumfill, aber was soll’s. RUSH gibt’s eben nur einmal. Und nicht jeder kann auf einem anderen Stern geboren sein.
Wer an dieser Stelle Informationen zum Plot erwartet, muss ich leider enttäuschen: In der Promotionbeigabe fanden sich keine Hilfestellungen, und auch andere Quellen erschlossen sich nicht. Fakt ist aber letztlich: MEDEA bieten gute Hausmannskost für den gemeinen Progger, gewürzt mit tollen Melodien und Songstrukturen. Gelegentlich findet man härtere Passagen, doch stets moderat und sogar eingeschränkt massentauglich. Room XVII, Endless Knot und State Of Suspense bestechen durch tiefe Emotionalität, Dance Of The Deals und Graveyard Island durch experimentellere und härtere Passagen, jedoch dies alles nie, ohne innovativ zu wirken. Geklaut hat Meeuws nichts, unter Garantie, dafür klingt das Ergebnis zu eigenständig, trotzdem muss man sich die berechtigte Frage stellen, ob MEDEA auf einem Markt, der von ähnlichen Projekten bisher nicht gerade verschont blieb, ihre Nische finden werden, die ihnen Brot und Überleben zusichern soll. Zweifel daran sind zumindest erlaubt, doch wer weiß: Progressive Rockmusik und ihre Hörer schrieben schon immer ihre eigenen Gesetze…