Tool - Fear Inoculum

Tool - Fear Inoculum
    Progressive Metal

    Label: Tool Dissectional
    VÖ: 30. August 2019
    Bewertung:9/10

    Tool im Web


Die über 1,3 Jahrzehnte aufgebaute Skepsis – braucht die Welt von heute ein neues TOOL-Album? Haben die sich überhaupt weiterentwickelt? – verfliegt schnell. Sie wird ersetzt durch eine wohlige Gänsehaut, die ich zuletzt bei „10.000 Days“ gespürt habe. Oder?

Fand ich das letzte TOOL-Album wirklich so gut wie „Fear Inoculum“? Ich kann mich an eine leichte Enttäuschung erinnern. Ist aber schwer zu sagen nach so langer Zeit. „10.000 Days“ ist jedenfalls nicht mein liebstes TOOL-Werk, da bin ich sicher.

Jedenfalls, während ich das neue Album zum ersten Mal höre, am passendsten aller Orte (dem Hamburger Hauptbahnhof zur morgendlichen Rush Hour), formuliert mein Mund, zum O geformt, stumme „Wows“; und, um es mit den Worten eines anderen großen Künstlers zu sagen: Meine „Augenbrauen werden zum M von McDonald’s“. Und wer dem Satz nicht folgen konnte, der sei beruhigt: TOOL sind nach wie vor besser im Verschachteln als ich.

Das beweisen sie in sechs ultralangen Stücken, die es zusammen mit ein paar Interludes auf rund anderthalb Stunden Musik bringen. Die Songs folgen dabei grob demselben Muster: Ruhiger Beginn, langsame, sehr langsame Steigerung, Härtegrad rauf in den dritten Gang, progressive Verstrickung als Finale.

TOOL bewegen sich in ihrem eigenen Kosmos

Und? Haben Sie sich weiterentwickelt? Vielleicht. Egal. TOOL haben im Laufe ihrer Karriere einen eigenen Kosmos um sich herum aufgebaut, in dem es nur eine Referenz gibt: TOOL. Darin bewegen sie sich, zitieren sich mit offensichtlicher Freude selbst und wenden das an, was seit „Aenima“ zu ihrem absolut einzigartigen Stil geworden ist. Ja, absolut einzigartig: „XY klingen wie TOOL“ funktioniert, den Satz „TOOL klingen wie …“ sinnvoll zu beenden, fällt hingegen schwer. Jeder der vier Musiker hat dabei seine Signature Moves, aus denen sich auch „Fear Inoculum“ zusammensetzt.

Veränderungen: Wenn, dann nur im Kleinen

Veränderungen finden, wenn überhaupt, im Kleinen statt. Es gibt elektronische Elemente und zweistimmige Gitarren in „Descending“. Hardrockige Riffs in „Culling Voices“ und gefällige Akkordfolgen in „Pneuma“. Einen einfachen Beat in „Invincible“ unter der schlichten rhythmischen Verschiebung eines einzigen Akkords.

Alles Elemente, die es schon vorher im TOOL-Sound gab. Die Überraschung beim Hören rührt vielleicht am ehesten daher, dass ich nach 13 Jahren etwas ganz anderes erwartet hätte. Aber statt komplett neue Wege auszuspähen, nehmen TOOL ihre ersten vier Alben und packen die Essenz daraus auf Nummer fünf.

„Fear Inoculum“ strahlt eine majestätische Ruhe aus

Insgesamt prägt eine durchgehende Stimmung dieses Album. Trotz gewisser Härte auf bekanntem TOOL-Niveau strahlt „Fear Inoculum“ eine majestätische Ruhe aus: Wie ein dunkler See, dessen leicht kräuselnde Oberfläche nur andeutet, dass es sehr tief runter geht. Bis dann als Abschluss „7empest“ kommt und sich der Abgrund öffnet. Die ersten Minuten erinnern an „Undertow“ und „Aenima“, dann entwickelt sich ein langes Solo, rhythmische Spielchen fordern den Hörer. Sehr heavy der Song, vor allem im Vergleich zum Rest des Albums. Irgendwo ein Bruch im ansonsten konsistenten Sound – aber auch ein mega Song.

Interludes: Sinn oder Unsinn?

Apropos Bruch: Über Sinn und Unsinn der Interludes wird seit Veröffentlichung von „Fear Inoculum“ herrlich gestritten. Das Internet birgt Meinungen von „Erst die Interludes machen die transzendente Erfahrung des Albums möglich“ bis hin zu „Das muss ein Scherz sein.“ Meine Meinung: TOOL hatten schon bessere Interludes, diese sind nach dem zweiten Durchlauf für mich zu Skip-Kandidaten geworden. Weder Stimmung noch Flow des Albums gewinnen durch die Zwischenstücke.

„Fear Inoculum“ bringt den TOOL-Sound konzentriert auf den Punkt

Fazit? Puh. Die konsistente Stimmung des Albums macht „Fear Inoculum“ ein bisschen besser als „10.000 Days“. Werk Nummer fünf schafft es, alle Eigenheiten des TOOL-Sounds trotz komplexer, überlanger Songs sehr konzentriert auf den Punkt zu bringen. Das ist beeindruckend, und derzeit läuft „Fear Inoculum“ bei mir wie bei vielen anderen Leuten (Chartplatzierung: ganz oben) rauf und runter. Mal sehen, wir gut das Ding altert.

Helge

Stile: Doom Metal, Black Metal, Post Rock, Stoner, Prog

Bands: My Dying Bride, Opeth, Nachtmystium, Saint Vitus, Genesis