"Parasomnia" ist das erste Album mit der umtriebigen Schlagzeug-Koryphäe seit "Black Clouds & Silver Linings" von 2009. Es ist kein Konzeptalbum im eigentlichen Sinne, behandelt Song-übergreifend gemäß des Albumtitels jedoch schlafbezogene Störungen wie Schlafwandeln, Schlaflähmung oder Nachtangst. Das passt thematisch natürlich vorzüglich zum Bandnamen und ist eine clevere Idee zur Reunion, zumal der Albumtitel "Dream Theater" ja schon vergeben ist.
Das eröffnende "In The Arms Of Morpheus" ist für ein DREAM-THEATER-Instrumental überraschend kurz gehalten und gibt die musikalisch wenig überraschende Marschroute für das gesamte Album vor. "Night Terror" fasst in knapp zehn Minuten so ziemlich alles zusammen, wofür die Prog-Metal-Institution steht.
Wer DREAM THEATER kennt und schätzt, wird Überraschungen weder fordern noch erwarten (erst recht nicht nach einem so missglückten Experiment wie dem gruseligen Konzeptalbum "The Astonishing") - und bekommt sie auch auf "Parasomnia" nicht. Dabei stellt sich zwangsläufig die Frage, welchen Einfluss der zurückgekehrte Mike Portnoy auf "sein" altes Baby hatte. Die musikalische Ausrichtung auf "Parasomnia" ist rifflastiger und härter als auf den vorherigen Alben mit Mike Mangini, ohne eingängige Melodien und traumhaft schöne Passagen aus den Augen zu verlieren. Die über die Jahrzehnte aufgebaute Routine und Professionalität verbindet sich auf "Parasomnia" mit einer hörbaren Leidenschaft und Losgelöstheit. Und auch wenn Mangini ein technisch brillanter Schlagzeuger und angesehener Musikprofessor ist, bring Portnoy mit seinem unverkennbaren Stil ein gutes Stück Eigenständigkeit zurück in die Band.
Wer mit der Härte von "Train Of Thought" oder einzelnen Nummern auf "Six Degrees Of Inner Turbulence" wenig anfangen kann, wird auch den neuesten DT-Output nicht (direkt) ins Herz schließen können. Mir sagen Mike Portnoys traumwandlerisch ballernde, treibende Doublebass-Power und John Petruccis Gitarren-Orkane wie in "A Broken Man", dem brachial doomigen "Dead Asleep" oder "Midnight Messiah" mit seiner ungezügelten Power und markanten Riffs, die an "As I Am" erinnern, sehr zu. Dabei kommen weder James LaBries Vocals (love it or hate it) noch John Myungs pumpende Bassläufe oder die mannigfaltigen Keyboard-Künste von Jordan Rudess zu kurz.
Das kurze Zwischenspiel "Are We Dreaming?" nimmt die Melodie des anfänglichen Instrumentals wieder auf, bevor es in die ersten Gitarrenklänge von "Bend The Clock" übergeht. Die emotionale Ballade zeigt eindrücklich, dass John Petrucci viel mehr als satt riffen und die krassesten Figuren auf seinem Sechssaiter greifen kann. Das ausladende Gitarrensolo, dem von einem reduzierten Rhythmus-Fundament im Geiste glanzvoller GENESIS-Großtaten eine perfekte Bühne bereitet wird, dürfte eigentlich nie zu Ende gehen.
Das abschließende Epos "The Shadow Man Incident" erinnert an den Titeltrack des 2005 erschienenen Albums "Octavarium", wirkt jedoch weniger zerfahren und komprimierter, ja, beinahe atemlos mit seinen ausladenden Instrumentalpassagen und Tempowechseln. Die knapp 20 Minuten vergehen wie im Flug, bieten Abwechslung pur und vereinen alle lieb gewonnenen DREAM-THEATER-Trademarks. Auch hier begeistert John Petrucci mit gefühlvollen Gänsehaut-Leads, während die Härte vor allem zu Beginn etwas zurückgefahren wird.
Wenn man als Prog-Metal-Jünger unbedingt etwas an "Parasomnia" kritisieren möchte, dann vielleicht, dass sich die untermalenden Orchesterpassagen zu oft synthetisch anhören (Jungs, gönnt euch doch mal ein paar echte Streicher) und die Produktion einen Tick fetter sein könnte. Obwohl das fantastische, 2019 erschienene "Distance Over Time" deutlich weniger hart ausgefallen ist, klingt es etwas brachialer.
Alles beim Alten also? Irgendwie ja. Ist das gut so? Definitiv! "Parasomnia" bietet mit 71 Minuten Spielzeit einen großartigen Fundus an abgepfiffenen Instrumentalpassagen, glanzvollen Solo-Passagen und zum Heulen schönen, eingängigen Melodien. Auch im fortgeschrittenen Alter präsentieren sich DREAM THEATER in Topform. Und das hört man dem Quintett definitiv an.
"Parasomnia" Trackliste:
"In The Arms Of Morpheus" (5:22)
"Night Terror" (9:55)
"A Broken Man" (8:30)
"Dead Asleep" (11:06)
"Midnight Messiah" (7:58)
"Are We Dreaming?" (1:28)
"Bend The Clock" (7:24)
"The Shadow Man Incident" (19:32)
DREAM THEATER Line-up:
James LaBrie - vocals
John Petrucci - guitars
Jordan Rudess - keyboards
John Myung - bass
Mike Portnoy - drums