Stil (Spielzeit): New Artrock, Prog (36:34)
Label/Vertrieb (VÖ): InsideOut / SPV (19.05.06)
Bewertung: Die sanfte Seite einer starken Band (8,5/10)
Link: Offizielle Website
Myspace-Präsenz
Riverside, eine der wohl angesagtesten Artrock/Prog-Bands dieser Tage, bringt die 2004er EP "Voices In My Head" neu heraus. Lohnt sich der Kauf?
Kurze Antwort: Ja!
Lange Antwort:
Ich fang mal gaaaanz früh an: RIVERSIDE`s Ursprünge gehen auf eine Situation zurück, die sich laut Band im Jahr 2000 etwa folgendermaßen abgespielt haben muss: Zwei Mitglieder knallharter polnischer Metal/Deathbands, beide Piotr geheißen, sitzen im Auto. Jener Piotr am Steuer macht Musik an - und was kommt aus den Boxen? MARILLION! "Du hörst auch Prog?", fragt der eine Piotr den anderen, "Hätt` ich ja nicht gedacht". "Klar!" erwidert der andere, "Könnten ja mal in der Richtung was zusammen machen.".
Ein Jahr später. Jacek Melnicki, in dessen Studio sie vorerst für ihr kleines Prog-Projekt proben, ist als Keyboarder eingestiegen und stellt ihnen Mariusz Duda als möglichen Bassisten vor. Die Proben laufen gut und schon ist aus dem Mini-Projekt eine Instrumental-Prog-Band geworden, die aber schon bald um Gesang bereichert wird, als sich herausstellt, dass Duda über eine außergewöhnliche Stimme verfügt und sie einzusetzen versteht. Bald steht der Name fest, die Proben werden regelmäßiger und 2002 werden auch erste Konzerte gespielt. 2003 nehmen sie ein erstes Demo auf, bevor Ende des Jahres das erste echte Album entstehen soll. Die Trennung von Keyboarder Jacek Melnicki kommt während der Aufnahmen dazwischen, doch zu dritt beenden sie das Mixing noch vor Jahresende. Michal Tapaj übernimmt das Keyboard und kommt somit gerade noch richtig, um den Aufstieg einer neuen Artrock/Prog-Hoffnung mitzuerleben. "Out Of Myself" begeistert in Szenekreisen die Kritiker mit seiner komplexen Mischung von Sanftheit und Härte und bringt Polen auf die internationale Artrock-Landkarte.
2005 nehmen RIVERSIDE dann ihre erste EP "Voices In My Head" auf, welche zunächst nur bei Konzerten und bei der Band erhältlich ist, bis dann in Polen eine Extended Version mit drei 2004 entstandenen Live-Aufnahmen folgt, die auf über 36 Minuten kommt. Nach dem Motto "Wer hat den Längeren" bringt InsideOut nun eine Extended Version dieser Extended Version raus! Alles klar???
Mehr Lieder findet man darauf aber nicht. Geboten werden vor RIVERSIDE-typisch düsterem Hintergrund alle Lyrics der beiden Longplayer und der EP, 15 Bandfotos und, leider nur in einem kleinen Fenster, das aus Livebildern geschnittene Video "Acronym Love". Das ist alles ganz nett, aber von einem multimedialen Update kann man vielleicht sogar noch mehr erwarten. Na gut, ein interessantes Gimmick ist im Text von "Acronym Love" versteckt: Dort führen Links direkt zu einer Seite, welche die Akronyme erklärt. Das Booklet ist nun umfangreicher und enthält Bandfotos und die Texte. Einige Interviews oder Kommentare der Band zu ihrer Musik hätten die Neuauflage noch etwas liebevoller erscheinen lassen.
Aber gut gemeinter Multimedia-Schnickschnack reicht bei Musik-CDs kaum als Kaufanreiz aus. Da braucht es schon mehr. Warum sollte man sich diese EP kaufen?
Also: Erstens war sie bisher, wie beschrieben, kaum erhältlich und zweitens ist sie fantastisch!
Aber sie ist auch anders als die LPs. Im Vergleich zum ersten Album "Out Of Myself" treten die harten, metallischen Facetten noch stärker zurück. RIVERSIDE ergründen Traurigkeit und Verletztheit, Verlust und zarte Hoffnungen. Bewundernswert ist die Zurückhaltung der ehemaligen Hartwurstfraktion innerhalb der Band, die sich vollkommen der Gänsehauterzeugung widmet. Somit dominieren weitgehend die Akustikgitarre, Gitarrensoli nach Marillion-Art und stilsichere Keyboards den Klang. Mariusz Duda drückt dem ganzen mit seiner wundervollen Stimme und dem glasklar zu hörenden, melodiösen Bass seinen Stempel auf. Stellenweise untermalt von fast trip-hop-artigen Loops bauen alle fünf Studioaufnahmen Atmosphäre auf, wie man es so harmonisch und melancholisch-verträumt selten gehört hat. Besonders bemerkenswert ist der unglaublich warme Klang, der RIVERSIDE von vielen Prog-Formationen unterscheidet, die sich in Angeberei und Frickelei ergehen. Eine höhere Wertung gebe ich nur deshalb nicht, weil ich weiß, dass diese EP nur eine Facette einer Band zeigt, deren Potential noch längst nicht ausgeschöpft ist und die auf ihren Longplayern schlichtweg mehr Platz zu dessen Entfaltung hat. Wem die ruhige Seite der Band gefällt, der wird diese Platte lieben!
Wenn dies ein komplettes Album ohne Live-Tracks wäre, könnte man fast davon sprechen, dass RIVERSIDE hier ihre "Damnation" (OPETH) geschaffen hätten. Ähnlich stark haben sie sich auf das sanfte Ende ihrer Härte-Skala beschränkt und vergleichbar hervorragend ist auch die Qualität der Stücke, wobei natürlich alles mehr nach sanftem Neo-Prog klingt.
Zwei der drei gelungenen Live-Aufnahmen hingegen präsentieren auch die harte Seite der Polen und zeigen allen, die RIVERSIDE mit dieser EP kennenlernen, einen guten Eindruck vom abwechslungsreicheren Stil der LPs, welche ihnen hiermit ebenfalls wärmstens ans Herz gelegt seien. Vor allem das aktuelle Album "Second Life Syndrome" setzt Maßstäbe im atmosphärischen Artrock- und Prog- Bereich.
Für Spätsommer und Herbst 2006 werden den Fans zahlreiche Konzerte versprochen. Falls das eingehalten wird: Wir sehen uns dort!