Die drei Cavanagh-Brüder, John und Lee Douglas, Daniel Cardoso und Produzent und Mixer Christer-André Cederberg geben sich als eingespieltes Team die Ehre, das - um ein fantastisches Artwork ergänzt - für eine perfekte Progressive/Alternative-Großtat gesorgt hat. Die einstündige Traumreise berührt auf eine Weise, die ich von keiner anderen Band kenne. Der Opener “The Lost Song part 1” beginnt mit vertrackten Drums, ausdrucksstarken Vocals mit toller weiblicher Unterstützung von Lee Douglas, einem eindringlichen Piano und wenigen Gitarren. Ab der Hälfte geht es richtig rund mit starken Gitarren, heftigen Vocals und opulenten Orchestrierungen. Schon beim ersten Hören ist die Nummer absolut mitreißend und wirkt wie eine pure Schönheit, die einen wirklich zum Weinen bringen kann. In “The Lost Song part 2” wird das Thema weiter gesponnen, aber der Track ist zu Beginn viel getragener und melancholischer. Die weiblichen Vocals übernehmen die Hauptrolle. Drums, Bass und Gitarren kommen dazu und machen den Song richtig breit. Mit “Dusk (dark is descending)” geht es leicht dissonant, düster und vergleichsweise heftig weiter, obwohl die Akustikgitarre im Vordergrund immer zu hören ist. Nach knapp 3 ½ Minuten hören wir ein krasses Break, in dem nur Piano und gefühlvolle Vocals zu hören sind. Danach geht es mit voller Breitseite weiter. Das anfängliche Thema wird variiert und klingt nun leicht, positiv, beschwingt. Zwei solch gegensätzliche Stimmungen in einem Song, mit leichten Variationen perfekt realisiert - das ist ganz, ganz großes Kino!
Mit der wundervollen, zerbrechlichen und melodischen (Halb-)Ballade “Ariel” werden erneut die starken weiblichen Vocals in den Vordergrund gerückt. Die Nummer ist zum Träumen schön und leitet zu “The Lost Song part 3”, der zweiten Fortführung des Themas, weiter. Diesmal Bass-geprägt, vertrackt, progressiv und hypnotisch. “Anathema” beginnt sehr stark und stimmunsvoll, bevor sich die dunkel angehauchte Bandhymne mit einem Gänsehaut-Refrain und einem Sänger, der über sich hinaus wächst, zu einem Must-hear entwickelt. Nach vier Minuten folgt ein wundervoll intensives, sich steigerndes und anderthalb Minuten andauerndes Gitarrensolo, danach ein ruhiger Abschluss. Einfach genial! Niemand Geringeres als Steven Wilson hat “You're Not Alone” produziert, das als heftiges, leicht krankes Fast-Instrumental bezeichnet werden kann. Erinnerungen an “Closer” werden wach, sehr eindringliche Gitarren und Industrial-Feeling sorgen für einen im Albumkontext geradezu heftigen Kontrast. Es folgt “Firelight”, eine kurze Ruhepause mit Sounds, die einen im Weltraum schweben lassen. Dann der Titeltrack “Distant Satellites”: Elektronische Drums und viele Effekte, kaum Gitarren. Sehr verkopft und sperrig. Braucht einige Durchläufe und klingt im Vergleich zu den restlichen Tracks zu kalt, die positive Stimmung schlägt hier nicht durch. “Take Shelter” - die zweite von Steven Wilson produzierte Nummer - bietet nach dem verstörenden Titeltrack mit feinen Orchestrierungen und weiteren, nicht mehr ganz so gewagten elektronischen Spielereien einen ruhigen, versöhnlichen Ausklang, der allerdings ein kleines bisschen zu sehr auf Nummer sicher geht.
“distant satellites” ist auf höchstem Niveau produziert und gemixt, klingt aber trotzdem warm und nicht klinisch. Das Songwriting der Cavanagh-Brüder ist nicht von dieser Welt, die Duette aus weiblichen und männlichen Vocals wundervoll anzuhören. Einzig der kühle Titeltrack kann nicht so sehr überzeugen wie die restlichen Songs (besonders der Beginn des Albums ist einfach nur hammerstark). Trotzdem: ANATHEMA haben mit ihrem zehnten Studio-Output eine ihrer besten Leistungen überhaupt abgeliefert, selbst, wenn ruhige Momente immer mehr die Oberhand gewinnen und verzerrte Gitarren weiter in den Hintergrund rücken. In der Schnittmenge von Alternative und Progressive werdet ihr derzeit keine bessere Scheibe finden. Entdeckt dieses Meisterwerk!
Mit “distant satellites” veröffentlichen ANATHEMA zwei Jahre nach dem von mir sträflich unterbewerteten “Weather Systems” ihr zehntes Studioalbum. Es stellt eine konsequente Fortsetzung der spätestens mit “We’re Here Because We’re Here” eingeschlagenen Linie fort, rührt mit höchst emotionalen, fragilen und sphärischen Songs zu Tränen und verbreitet jederzeit eine latent positive Grundstimmung. Kurz gesagt: “distant satellites” ist ein fantastisches Werk, das schon jetzt zu den musikalischen Höhepunkten 2014 gehört.
Chrischi
Stile: Metal und (Hard) Rock in fast allen Facetten
Bands: Metallica, Pearl Jam, Dream Theater, Iron Maiden, Nightwish ...