Grobschnitt - 79:10 Boxset Tipp

Grobschnitt - 79:10 Boxset

GROBSCHNITT waren eine der prägendsten Bands des Krautrock. In den 70ern brachten sie einige wegweisende Alben hervor, und auch wenn die Phase in den 80ern weder so bahnbrechend noch so grandios war, ergänzen die späteren Alben doch eine beeindruckende Bio- und Diskographie. Beides kann man jetzt mit der imposanten Komplett-Box „79:10“ nachvollziehen.


17 CDs enthält das Ding und somit alle Studio- und Livealben, die GROBSCHNITT jemals aufgenommen haben. Den wichtigsten Veröffentlichungen wurde eine zweite Scheibe gegönnt und zusätzlich gibt es rares und unveröffentlichtes Material, das bislang drohte, in Kellern und auf Dachböden zu verstauben. GROBSCHNITT haben alles gegeben und, so erklärt sich auch der Titel der Box, jede CD bis zur maximal möglichen Länge von 79 Minuten und 10 Sekunden vollgemacht.

Abgesehen davon ist natürlich alles remastered, gepimpt, aufgefrischt und mit sehr kurzweiligen Linernotes versehen. Diese bestehen nicht nur aus umfangreichen Anmerkungen zu den jeweiligen Alben und Umständen ihrer Entstehung, sondern auch aus vielen Bildern und Zeitungsausschnitten, die offenbar aus den privaten Archiven der Bandmitglieder stammen. Es ist also hervorragend nachvollziehbar, wie GROBSCHNITT von den ersten Gehversuchen bis zur Supergroup rezipiert wurden, welche irren Ideen sie in ihren Bühnenshows umsetzten – und welche modischen Verfehlungen sich die Band im Lauf der Jahrzehnte erlaubte.

Der Weg von GROBSCHNITT fing 1972 mit dem gleichnamigen Debüt an. Damals klangen die Jungspunde aus Hagen noch deutlich nach ihren progressiven Vorbildern – allen voran GENESIS kann man im Sound, den Melodien und rhythmischen Spielereien der Band hören. Das gilt auch für das zweite Album „Ballermann“. Eine Zäsur hin zu deutscher Lyrik kam mit Album Nummer Drei, „Jumbo“: Das brachten GROBSCHNITT nach der englischen Version kurze Zeit später noch einmal mit deutscher Lyrik heraus, was damals als echter Kracher und mutiger Schritt galt.

Ob dieser Umschwung eine gute Idee war, muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. Krautrock-Bands haben sich ja öfters durch sehr gewöhnungsbedürftiges Englisch, sowohl auf die Aussprache als auch auf die Ausdrucksweise bezogen, hervorgetan. Da machen GROBSCHNITT keine Ausnahme, mehr noch: Dass eine Mischung aus Theater, Slapstick und Performance immer ein Teil ihrer Bühnenshow war, macht sich auch in den Texten bemerkbar, deren Merkwürdigkeit auf Deutsch noch klarer zum Tragen kommt. Auf jeden Fall ist dies aber ein Abbild der Zeit, in der die Musik entstand: Auch wenn manches lyrisch wacklig daherkommt, historisch interessant ist es auf jeden Fall.

Ein nicht geringer Teil des Boxsets widmet sich dem Opus Magnum GROBSCHNITTS, „Solar Music“. Dieses Stück, im Original in der verhältnismäßig kurzen, in zwei Teilen insgesamt halbstündigen Version auf dem Album „Ballermann“ zu finden, steht sicher jedem auch internationalen Vergleich stand, wenn es um progressive Klassiker geht. Live hat es die Band regelmäßig zu über eine Stunde andauernden Jamsessions ausgedehnt. Die live-CDs „Solar Music live“ und „Sonnentanz“ widmen sich dem Werk, genauso wie diverse Bonustracks, die „Solar Music“ in bislang noch nicht gehörten Varianten wiedergeben.

Im Laufe ihrer frühen Alben entwickelten GROBSCHNITT ihren eigenen, progressiven Krautrock-Stil und entfernten sich von ihren anfangs sehr präsenten Vorbildern. „Rockpommel‘s Land“, das nach der Doppelveröffentlichung von „Jumbo“ erschien und für viele Fans der progressiven Phase wohl den Schaffens-Höhepunkt darstellt, könnte man diesbezüglich als Übergangsalbum bezeichnen. „Merry-Go-Round“ von 1979 klingt schon zugänglicher, poppiger und glatter, ohne das Progressive zu verlieren.

Mit Beginn der 80er-Jahre kam es zu einem klaren Kurswechsel. Auf dem 1981er-Album „Illegal“ hielt sich das noch in Grenzen, mit dem Folgealbum „Razzia“ handelten sich GROBSCHNITT aber sogar den Vorwurf ein, sich der Neuen Deutschen Welle anzubiedern. So oder so war „Razzia“ einfach ein vergleichsweise schwaches Album. Es folgten noch zwei weitere Studio-Veröffentlichungen, „Kinder und Narren“ und „Fantasten“. Wie viele Bands unterlagen auch GROBSCHNITT hier dem offenbar unwiderstehlichen Einfluss der 80er-Jahre und überfrachteten ihren Sound mit Keyboards, Synthesizern, Saxofon und künstlich produzierten Gitarren und Drums. Hier schließt sich der Kreis, denn damit erinnern sie wieder an die späten GENESIS, nur dass GROBSCHNITT mit ihren deutschen Texten zum Teil schon auf Schlager-Gebiet vordringen. Würde mich nicht wundern, wenn die Band mit den Songs von „Fantasten“ auch bei Dieter-Thomas Heck zu Gast war, so sehr klingt die Musik nach der MÜNCHENER FREIHEIT.

Doch auch wenn sich in GROBSCHNITTs umfangreicher Diskographie auch ein paar weniger zwingende oder gar sehr schwache Alben verbergen – für Genrefans ist diese Box ein Muss. Neben den 17 CDs enthält sie ein umfangreiches Booklet im LP-Format und einen Kunstdruck von „Rockpommel‘s Land“, handsigniert von der Band. Und angesichts von über 22 Stunden Musik lohnt sich die Anschaffung unbedingt und sowieso!



grobschnitt box

Helge

Stile: Doom Metal, Black Metal, Post Rock, Stoner, Prog

Bands: My Dying Bride, Opeth, Nachtmystium, Saint Vitus, Genesis

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