Steve Hackett jetzt vorzustellen, hieße wirklich, Eulen nach Athen tragen; dazu gibt es auch genügend Quellen im Netz. Eine feine Beschreibung seiner musikalischen Freiheit hat der sehr humorvolle Engländer jetzt im Zuge von "The Night Siren" mitgeliefert:
“I will always be known as a progressive musician. But what that means is there are no rules to be followed. Anything can happen at any time, and that's certainly the case here.” Das musikalische Spektrum von Steve Hackett ist ohnehin enorm, von seinen GENESIS Zeiten über klassische Gitarre bis hin zu (nicht ganz so gelungenen) Ausflügen in die Popmusik beherrscht er scheinbar alles mühelos, was eine Gitarre (bzw. ein Gitarrenarsenal) hergibt. Unvergessen seine Solo Akustik Tournee, bei der er frustrierten Besuchern, die nach drei Stücken gingen, lächelnd nachrief: "Sorry, no heavy metal tonight, only heavy nylon."
Die einende Sprache der Welt ist Musik
Doch sein Herz hängt an der progressiven Musik im besten Sinne des Zitates oben: alles ist möglich."The Night Siren" ist mittlerweile sein 25. Opus und entstanden über einen Zeitraum von einem Jahr. Nicht weil er zu wenig Ideen hatte, sondern weil es während seiner umfangreichen Tourneeaktivitäten entstand.
Und so wurde angesichts der irritierenden Zeiten auf dieser Erde Hacketts Reise um die Welt zum Programm des Albums: "What I wanted to do was show that we can all communicate through the universality of one
language – and that is music. It brings us all together." Und so findet sich eine wohl nie dagewesene Vielfalt von Gästen auf dem Album wieder, und dennoch klingt es genau wie ein Steve Hackett Album.
Während seiner Erdumrundungen arbeitete Hackett mit dem isländischen Drummer/Percussionist Gunnlaugur Briem, dem israelischen Sänger Kobi Farhi der Metalband ORPHANED LAND, der arabischen Sängerin Mira Awad (sie repräsentierte Israel beim 2009er Eurovision Song Contest), dem aserbaidschanischen Tar Spieler Malik Mansurov sowie dem ungarischen Tompeter Ferenc Kovacs und seiner Tochter Sara am Didgeridoo. Dann spielte noch Troy Donockley (von NIGHTWISH) die Uilleann Pipes in dem Song "In Another Life". Natürlich erleben wir auch alte Weggefährten wie Roger King, Nad Sylvan, Amanda Lehmann, Gary O'Toole und mehr.
Jubiläumsalbum allerfeinster Art
"The Night Siren" ist ein Rockalbum, obwohl auch zahlreiche akustische Instrumente ihren Platz gefunden haben. Einerseits ein typisches Hackett Rockalbum – sein Gitarrensound und seine Art zu spielen sind hiermit gemeint. Es ist auch ein tolles Einstiegsalbum für Menschen, die sich erstmals mit einem der weltbesten Gitarristen beschäftigen wollen, aber keine GENESIS Fans sind. Andererseits aber auch ein ganz besonderes Album aufgrund der Entstehungsgeschichte und -art.
Hackett erzählt: "Das Schöne an der Art und Weise dieses Album zu machen ist, dass ich nie gewzungen war, geradlinig zu arbeiten. Ich konnte jede Gelegenheit nutzen, eine Idee aufzunehmen, sobald sich die Chance ergab; um dann später herauszuarbeiten, in welchen Song das wohl am besten passt. Das gab uns eine wunderschöne Spontanität; und ja, diese bereitete uns auch Kopfschmerzen beim Ausprobieren der besten Variante bestimmter Musikteile. Doch diese extra Anstrengungen haben sich absolut gelohnt!"
Eine schöne Begebenheit, die dies unterstreicht, ist die allererste Aufnahme für "The Night Siren". Ungewöhnlicherweise – aber eben auch typisch für den gesamten Prozess – nahm Hackett als erstes ein Gitarrensolo auf, welches sich dann später am Ende des Tracks "Anything But Love" wiederfand.
Wer genau hinhört, versteht auch das folgende Statement: "Nebenbei bemerkt ist dieser Gitarrenpart von meiner Liebe des Albums "Fresh Cream" von CREAM inspiriert – insbesondere von Eric Claptons Art zu spielen auf Stücken wie "Sweet Wine"."
Intensive musikalische Kurzgeschichten
Das gesamte Album ist voller schöner und intensiver Musik, mit vielen Ideen in jedem Stück, die sich naturgemäß erst bei mehrmaligem Hören alle erschließen. Es gibt Musik, die man nach drei Runden nicht mehr erträgt, hier steigert sich das Hörvergnügen von Mal zu Mal. Jeder Track ist ein kleines Meisterwerk, drei möchte ich hier erwähnen und bin dabei sicher, dass jeder Hörer andere Favoriten findet.
Ein Opener zieht natürlich immer besondere Aufmerksamkeit, so auch "Behind The Smoke". Ein akustisches Gitarrenintro, ergänzt um ruhigen aufsteigenden Gesang, gibt das Thema vor, doch schon bald stampft der Song wie ein ein großer Dino aus den Boxen und ein erstes, sehr harmonisches Solo von Steve steigert die Dynamik gleich noch mehr. Zur Hälfte hin erwächst etwas Bolero-Stimmung, bis plötzlich Piano und Tar wieder für Ruhe sorgen und das Thema leise wieder aufnehmen. Es steigert sich nicht nur Lautstärke, auch das Tempo wird langsam erhöht und nach einer kurzen percussiven Einlage setzt Steve zu einem obercoolen und relaxten Solo an, welches sich dann in den letzten zwei Minuten über den wieder stampfenden Track legt und sich wunderschön bis zum Schlußakkord entwickelt. Klasse Start in eine aufregende Stunde.
Das schon angesprochene "Anything But Love" ist ein weiteres Juwel. Ein ganz leicht dahintänzelnder, flamencoartiger Beginn mit Percussion und akustischen Gitarren täuscht eine Richtung vor, die urplötzlich nach einer knappen Minute gewechselt wird. Ein Intro für einen relaxten Pop-Song?
Es plätschert, fängt heimlich an zu grooven und auf einmal erklingt eine fast schmutzige Harmonica, die etwas Blues in den Track bringt, bevor wir uns plötzlich wieder in spanischen Gefilden wiederfinden. Und dann steckt Hackett den Stecker rein und bringt dieses traumhafte Solo, welches zum einen das Thema schön ausarbeitet und zum anderen seine Clapton-Huldigung zum Ausdruck bringt. Der kurze Schlusschorus unterstreicht dann den CREAM Effekt. Mit dem Wissen, dass dieses Solo zuerst da war, und alles andere danach kam, bleibt nur ein Wort: genial.
"In The Skeleton Gallery" beginnt mit einem getragenen, fast schwerfälligem Rhythmus und schunkelt mit einer netten Gesangslinie so vor sich hin. Doch es vergehen keine zwei Minuten, bis dann ein erstes Break im Song fast atonale Saxophonklänge bringt, nur um dann eine schönen Refrain freizulegen.
So geht es im Wechsel mit rockigen Gitarren und im freien Raum umherfliegenden Blasinstrumenten (Remember Colosseum?) bis zum recht plötzlichen Ende weiter. Fast zu kurz scheint es; das kann ein feines Live-Stück werden.
Es gibt viel zu entdecken auf diesem Album, das auch technisch allen Ansprüchen gerecht wird. Ein erstklassiger Sound, der auch die feinsten Nuancen offenbart und dem Hörer erlaubt, jede gewünschte "Spur" zu verfolgen.
Congratulations Steve!
Trackliste:
1. Behind the Smoke (6:59)
2. Martian Sea (4:40)
3. Fifty Miles from the North Pole (7:08)
4. El Niño (3:52)
5. Other Side of the Wall (4:01)
6. Anything but Love (5:56)
7. Inca Terra (5:54)
8. In Another Life (6:07)
9. In the Skeleton Gallery (5:09)
10. West to East (5:14)
11. The Gift (2:45)
Besetzung:
Steve Hackett – electric & acoustic guitars, oud, charango, sitar guitar, harmonica, vocals (1 – 11)
Roger King – keyboards and programming (1 – 10)
Amanda Lehmann – vocals (1,2,3,6,7,8,9,10)
Christine Townsend – violin, viola (3, 4, 5, 7, 9, 10)
Rob Townsend – baritone & soprano sax, flute, flageolet, quena, duduk, bass clarinet (1, 4, 7, 9)
Gary O’Toole – drums (3, 4, 10)
Nick D’Virgilio – drums (2)
Gulli Briem – drums, cajon, percussion (7,9)
Mira Awad – vocals (10)
Leslie-Miriam Bennett – keyboards (11)
Troy Donockley – Uilleann pipes (8)
Dick Driver – Double bass (3,4,5,7)
Nad Sylvan – vocals (7)
Kobi Farhi – vocals (10)
Benedict Fenner – keyboards and programming (11)
Jo Hackett – vocals (10)
John Hackett – flute (2,10)
Ferenc Kovács – trumpet (3)
Sara Kovács – didgeridoo (3)
Malik Mansurov – tar (1)