Oceansize - Everyone Into Position




Stil (Spielzeit): Artrock, Postrock, Prog (67:07)
Label/Vertrieb (VÖ): Beggars Banquet Records / Indigo (19.09.05)
Bewertung: Modernes Meisterwerk! (9/10)
Link: http://www.oceansize.co.uk/
http://www.myspace.com/oceansizeuk
New Pin (Video)
OCEANSIZE machen auf ihrem zweiten Longplayer "Everyone Into Position" Kino im allerbesten Sinn für die ganz große Leinwand – und dabei beginnt alles so harmlos.

Mit "The Charme Offensive" legen die fünf Jungs aus Manchester los. 10 Sekunden Intro – noch kann man flüchten. Aber dann: ein hypnotischer Rhythmus auf den Toms, einzelne hohe Gitarrenklänge, ruhig wogender Gesang setzt ein, noch mehr versprengte Gitarrensounds, hier und da ein Keyboard-Sound. Jede Beschreibung dessen, was hier abgeht, muss zwangsweise langweilig klingen im Vergleich zu dem, was wirklich passiert. Es entsteht ein komplexes Gebilde aus Melodie und Rhythmus, noch verstärkt durch die nun etwas funkige Gitarre und rhythmischeren Gesang. Hier spielt eine Band gekonnt mit dem Hörer und nimmt ihn gefangen! Über sieben Minuten hinweg verdichtet sich der Sound, unterbrochen von perfekten ruhigen Momenten, und man fragt sich, wie eine dermaßen lange Steigerung so unglaublich spannend klingen kann. Alles baut aufeinander auf, ist verwoben und gehört zusammen. Und während man in verwöhnter Position so die Ohren aufsperrt, um auch ja jede feine Idee mitzubekommen, plättet einen die langsam aber gewaltig rockende Wall Of Sound der nun (übrigens auch bei Konzerten) drei Gitarren samt Geschrei zum Ende hin. Was für ein Opener!

Bei der ersten Single, dem eingängigen "Heaven Alive", kann man sich dann etwas ausruhen, bevor einen bereits die ersten Sekunden von "A Homage To A Shame" in die rockige Progwelt zurückholen. Wieder zeigt die gesamte Band eine ungeheure Bandbreite: Vocals von melodiösem Sprechgesang über hohe, klare Melodien bis hin zu wütenden Schreien; drei Gitarren, die in perfekter Abstimmung sanft klimpern, wuchtig Akzente setzen, bescheiden pausieren und wild losrocken. Dazu flexible Rhythmusarbeit, clever und druckvoll.

Zwischendrin gibt es immer wieder Momente, die klarmachen, dass hier kein abgestandener Standardrock geboten wird, sondern auch mal ein kräftiger Schluck aus der Prog-Pulle ausgeschenkt wird. Modernen progressiven Rock mit viel Sinn für Melodie, das machen die immer noch unterschätzten OCEANSIZE so gut wie kaum eine andere Band. Bei weitem nicht so vertrackt wie TOOL oder THE MARS VOLTA, eher wie A PERFECT CIRCLE, OPETH (v.a. auf der "Damnation"; man höre nur den Anfang von "No Tomorrow"!) oder die Progger/Artrocker von RIVERSIDE und PORCUPINE TREE. Schon das Vorgängeralbum "Effloresce" und drei EPs waren brillant und werden hier mindestens bestätigt, wenn nicht gar übertroffen. Die hörenswerten Texte entstammen nicht abgehobenen Sphären, sondern handeln von diversen Situationen und Problemen des normalen Lebens. Vielleicht klingt die Platte deshalb auch nicht ganz so nach einem geschlossenen Konzept wie "Effloresce". Was soll's, wenn's doch wieder klasse ist?!?

Zurück zur Musik: Während die meisten Lieder nur stellenweise einen "wogenden" (sorry, mir fällt dafür keine bessere Beschreibung ein) Gesang aufweisen ist der fünfte Song, die ruhige, zarte Ballade "Meredith", durchgehend davon geprägt. Hier wird man zum wiederholten Mal zur Adoption eines kapitalen Ohrwurms gezwungen! Auch an diesem eigentlich eher leisen Stück wird ein Phänomen deutlich, das Rezensenten behelfsmäßig als "dichten", "intensiven" oder "breiten" Sound beschreiben. Ich sag's ja: wie im Kino. Mit "Music For Nurses" folgt ein weiterer balladesker Song, diesmal jedoch im XL Format: Über acht Minuten hinweg wird der geneigte Hörer Zeuge von Steigerung, krachigem Höhepunkt und Ausklang eines getragenen, noisigen Stückes, das in seiner entrückten Verträumtheit manchen Stücken von PINK FLOYD oder auch RADIOHEAD ähnelt.

Kommen wir jetzt zur zweiten Single "New Pin". Weder das rockigste noch das ruhigste Lied, aber singletypisch eingängig und vor allem wunderschön. Ja: wunderschön! Und das ist genau so gemeint wie's da steht! Dieser Song zeigt wie auch die anderen, dass eine Melodie schön sein kann ohne sich schleimig anzubiedern. Vielleicht landen OCEANSIZE irgendwann mit einem derartigen Song (bzw. Video) mehr oder weniger "aus Versehen" einen kommerziellen Hit. Höre ich da ein reflexartiges "Ausverkauf! Scheiß Kommerz!"? Jeder, der sich vom Hitpotential einer Band normalerweise abschrecken lassen würde, sollte erstmal das ganze Album hören, dann wird er seinen Reflex nämlich ganz schnell vergessen!

"No Tomorrow" ist wieder rockiger und erinnert an mehreren Stellen an TOOLsche Rhythmen. Einfach klasse, wie die Band einen immer wieder aus dem wohligen Schlummer (das ist vollkommen positiv gemeint!) des zuvor beschriebenen "wogenden" Gesangs reißt, sei es durch gewaltige Steigerungen oder plötzliche Lärmattacken. Verglichen mit dem Vorgänger ist "Mine Host", erster Teil der abschließenden dreiteiligen "Church Suite", eher Soundcollage denn Song. Lässt mich etwas an MOGWAI denken, aber auch hier ist der britische Fünfer von einem Plagiat meilenweit entfernt. Das Stück ist mit 4:12 Minuten mit Abstand am kürzesten, weshalb es von den beiden folgenden dicken Brocken fast erdrückt wird. Oder von Wänden erschlagen, wenn euch das lieber ist. Die berühmte Wall Of Sound: da isse schon wieder! Zum Abschluss der 67 Minuten gleich im Doppelpack: gewaltig, episch, atemberaubend emotional bis zum Ausklang mit Orgel.

Ich bin geplättet und sage nur noch eins: kaufen!!!


Anspieltipps:
The Charme Offensive A Homage To A Shame New Pin No Tomorrow Ornament / The Last Wrongs

Tracklist: 01. The Charme Offensive 02. Heaven Alive 03. A Homage To A Shame 04. Meredith 05. Music For A Nurse 06. New Pin 07. No Tomorrow 08. Mine Host 09. You Can't Keep A Bad Man Down 10. Ornament / The Last Wrongs