Umso überraschender ist das Konzept-Doppelalbum „Viva la nix!“, Untertitel: „Der Untergang des monetären Wirtschaftssystems (aus Sicht eines Girokontos)“. EISENPIMMEL bezeichnen es selbst als "eine wirtschaftspolitisch angepisste Rockoper in 35 Akten“. Und das ist es auch: Die Band um die beiden Vokalisten Siggi Katlewski und Bärbel Rotzky steigen tief ein in das Thema eines weltumspannenden Systems, das von einem internationalen Bankenwesen ausgehend seinen Einfluss bis in die Trinkhallen und Säuferkneipen des Ruhrgebietes trägt. Ob EISENPIMMEL das alles verstanden haben, oder auch einfach mal in gewohnter Schwachsinns-Manier drauflos schwadronieren, sei mal dahin gestellt – Fakt ist aber, dass „Viva la nix!“ unterm Strich tatsächlich als ernstzunehmendes und starkes Statement verstanden werden kann.
Das heißt nicht, dass EISENPIMMEL-Fans auf den gewohnten Gaga-Faktor verzichten müssen. Allein die verteilten Rollen der Punkoper lassen tief blicken: Unter anderem melden sich „Der notorische Defizitsünder“, „Das Finanzloch“, „Der Pfandbrief“ und „Die Hybrid-Anleihe“ in persona und teils äußerst vulgär zu Wort. Unter den zahlreichen Gästen finden sich Bela B als „Der Finanzdistrikt“, Guildo Horn als „Der Wirtschaftsprüfer“ und SLIME-Sänger Dicken als „Das Bundeskartellamt“. Textlich gibt es wieder viel zu lachen und zu schmunzeln, weil auch EISENPIMMEL-typische Fäkal- und Sexnummern nicht fehlen: „Wat geht mit ficken?“, "Ein Kackstuhl aus Pomm Fritz“ oder „Das rollende Hundeklo“ werden auf Konzerten sicher für gute Laune sorgen.
Musikalisch zeigen sich EISENPIMMEL durchaus gereift. Handwerklich hat man schon deutlich schlechtere Punkbands gehört, und auf „Viva la nix!“ fräsen sich die Duisburger neben Punkrock durch alle möglichen Genres, von Blues über Blasmusik bis Hip-Hop. Zu diesem Abwechslungsreichtum trägt die Teilnahme der vielen Gäste natürlich bei. Stark ist aber, dass beispielsweise die Nummer mit Bela B nicht das alles überstrahlende Highlight des Albums ist, sondern sich trotz des großen Namens in den Gesamtrahmen einfügt. Mein persönliches Highlight ist das dadaistische Kinderlied „Kleiner Punker Käsebrot“ – muss man gehört haben.
„Viva la nix“ ist zwar nicht zu jeder Sekunde, aber in seiner Gesamtheit wirklich großartig. Es ist höchst abwechslungsreich und spannend – und vor allem schafft es den extremen Spagat zwischen alkoholisiertem Schwachsinn und ernster Gesellschaftskritik, die übrigens auch vor der Punkszene nicht Halt macht. „Viva la nix!“ gibt es auch bei Spotify, aber es lohnt sich, das Album als physische Version zu kaufen – abgesehen davon, dass dies die Band unterstützt, sind im Booklet zusätzliche Texte abgedruckt, die die einzelnen Songs zu einer durchgehenden Erzählung verbinden.
Die Ruhrpott-Punker EISENPIMMEL sind bislang für ihren vulgären Asi-Stil bekannt (und beliebt) gewesen. Immerhin sind sie Urheber großartiger Perlen wie „Komm ma lecker“ oder „Bau keine Scheiße mit Bier“, womit die zwei großen Themen sowohl der Duisburger Band als auch der gesamten Menschheit schon abgedeckt wären: Ficken und Saufen. Dass EISENPIMMEL sieben Jahre nach ihrem letzten Album „Füße hoch, Fernsehn an, Arschlecken“ etwas veröffentlichen, das man ironiefrei als ambitioniertes Projekt bezeichnen kann, war also nicht abzusehen.
Helge
Stile: Doom Metal, Black Metal, Post Rock, Stoner, Prog
Bands: My Dying Bride, Opeth, Nachtmystium, Saint Vitus, Genesis