Eine elegische Stimmung kommt auf, wenn man die ersten Töne der neuen Platte „Rebel Songs“ hört. Elegisch, weil wir alle verdammt scheinen, in unseren eigenen vier Wänden nahezu zu versauern. Denn dieses Album schiebt uns unweigerlich den Wunsch in den Kopf, und vor allem in die Beine, eines der heißbegehrten Live-Konzerte von Nathan Gray besuchen zu wollen. Es reißt einen aus den Socken: energiegeladen bis zur letzten Minute entfacht es den tiefen Wunsch, rauszugehen und dieses verdammte Wir-Gefühl erleben zu wollen.
Das kann schließlich nur in physischer Gemeinschaft passieren, in diesem schweißtreibenden Gedränge, beim Stagediving und mit den zahlreichen Bierduschen, sich in den Armen guter Freunde zu wissen und gemeinsam Textzeilen wie „The World falling down. Raised Your Fist in the Air“ zu grölen. Dieses drängende Gefühl nach Gemeinschaft und Zusammenhalt beschreibt Nathan Gray mit einer Art Renaissance seines inneren Ichs:
"Aber es kam eine Zeit in meinem Leben, in der es wichtig für mich war, zu stoppen und mich mit meinen eigenen Dämonen, meinem Herzenskummer und meinem Wachstum zu beschäftigen. Diese Dinge waren erschlagend und ich musste an ihnen arbeiten, um wieder in größeren Dimensionen denken und handeln zu können. Wir alle erlebten dieses globale Ereignis gleichzeitig, aber auf sehr unterschiedliche Art und Weise (…). Die Pandemie zeigte, wie unterversorgt bestimmte Gruppen sind – Frauen, People of Colour, die untere und die mittlere Schicht, Obdachlose, LBTQIA+-Menschen. Jeden Tag sahen wir, wie sie in gefährliche, verletzliche Situationen geführt wurden und es brach mein Herz, die Spaltung der Menschen zu sehen.“
Dieses tragende Gefühl zieht sich durch das gesamte Album "Rebel Songs". Der Kampf für eine Einheit, das Wir-Gefühl, zusammen etwas bewegen zu können, angekurbelt durch seichte melodische, fast populärmusikalische Einflüsse, aber mit einer Vielschichtigkeit aus verschiedenen anderen Genres auf dem Boden des rebellischen Punk-Rock-Sounds.
Grundsätzlich wirken Nathan Grays Solo-Alben durchaus eingängiger als wir es gewohnt sind von BOYSETSFIRE. Die schroffe und harte Hardcore-Attitüde im musikalischen Teil ist hier schwer zu finden. Erstaunlicherweise findet sich aber nun bei diesem Album noch einige bemerkenswerte Neuerungen. Sie zeigen sich in einigen Zusammenarbeiten – wie mit Tim McIllrath in „Rebel Songs“ und einer Rap-Einlage in „Look Alive“ mit dem Rapper Eugenius. Matze Rossi ist in dem Song „Million“ zu hören und die Soft-Grunge-Künstlerin Elena Rud hat dem Song „Grace“ ein großes Stück Orchestration und Melancholie verliehen, eine Vielschichtigkeit in jeglicher Hinsicht wie bei keinem anderen der vergangenen Alben von Nathan Gray.
Produziert wurde die Platte von Brian McTernan, der mit seinen Bands BATTERY und BE WELL Hardcore-Geschichte schrieb.
Das Gesamtwerk klingt in sich schlüssig. Die Kollaborateure klingen in den einzelnen Songs natürlich in den Sound eingebettet, ausnahmslos. Als wären sie für diesen Song geboren worden. Wir hören einen Nathan Gray, der versucht, die Welt zusammen zu halten, indem er denjenigen Gehör verschafft, die keine große Lobby haben. Sein Songwriting erinnert dabei sehr an die guten alten BOYSETSFIRE-Zeiten – hier zeigt sich wenig Entwicklung. Der grundlegende Sound klingt ein bisschen so, als hätte man alte BSF-Songs zu weich gewaschen.
„Rebel Songs“ ist eine Platte, die für jeden etwas zu bieten hat – und das ist sicherlich eine gute Basis, um viele Menschen zu erreichen, sie zusammen zu bringen für den gemeinsamen Kampf für eine bessere Welt.
Trackliste
1.The Reckoning
2. Look Alive
3. Rebel Songs (Nathan Gray & Tim McIllrath)
4. Radio Silence
5. Fired Up
6. Capitol Stairs
7. No Pasaran
8. Million (feat. Matze Rossi)
9. Don‘t Wait Up
10. Lost
11.Grace
12. That Said