Wir schreiben das Jahr 2008. AC/DC stellen gerade ihr aktuelles Album "Black Ice" live vor und haben einen der heißesten Classic Rock-Newcomer als Vorband im Gepäck, die ihrem phänomenalen Debüt "Rise" mit "Everyday Demons" gerade einen ebenbürtigen Nachfolger spendieret haben. Ladies and gentlemen, make some noise for THE ANSWER!
Sänger Cormac Neeson, Gitarrist Paul Mahon, Bassist Michael Waters und Drummer James Heatley waren damals kurz davor, die Welt zu erobern. Nachdem THE ANSWER 2015 ihre Tour zum letzten Album "Raise A Little Hell" beendet hatten, war von Aufbruchstimmung und Durchbruch jedoch nicht mehr viel zu spüren. Die Band stand vor einem finanziellen und personellen Desaster. Neeson befand sich in einem kreativen Loch, wusste nicht, ob er jemals wieder auf der Bühne stehen konnte - oder wollte. Dazu kam die verfrühte, komplikationsreiche Geburt seines Sohnes, dessen täglicher Kampf ums Überleben Monate lang zu Neesons Alltag wurde. Rückblickend sagt der Sänger, er habe eine Dunkelheit erlebt, von der er niemals gedacht hätte, dass sie überhaupt existieren kann.
Dunkelheit und Licht: Das sind die zentralen Themen des sechsten Studioalbums "Solas" (gälisch für "Licht"), das ganz eng mit Neesons Leidensgeschichte verwoben ist. Und weil die Veränderungen, das Durchlebte so intensiv waren, haben sich THE ANSWER ganz bewusst für eine Neuausrichtung ihres Sounds entschieden. Das wird zahlreichen Altfans gar nicht schmecken, und auch ich wusste beim ersten Hören von "Solas" nicht, was ich davon halten soll. Das ist die Band, die für "Rise" verantwortlich war und das Potential hatte, in die Fußstapfen von Siebziger-Legenden wie LED ZEPPELIN zu treten? Das sind die vier Musiker, die mit "Comfort Zone" und "Pride" zwei meiner liebsten Rocksongs der vergangenen Jahre geschrieben haben?
Ja, sie sind es tatsächlich. "Left Me Standing" groovt extrem, macht gute Laune und erinnert mit seinem fantastiscen Chorus extrem an "Everyday Demons". Das bluesgetränkte "Demon Driven Man" erinnert trotz begleitender Folk-Gitarren genauso an die ersten beiden Alben wie der schleppende Bar-Rocker "Real Life Dreamers" mit Slide-Gitarre und Duett zwischen Neeson und der irischen Sängerin Fiona O' Kane. Und dann wäre da noch "Being Begotten", ein sich langsam steigerndes Blues-Stück mit extrem dichter Atmosphäre und großartiger Gesangsleistung von Neeson, der gegen Ende seines "Don't know the day, don't know the year"-Credos ins Mikrofon knurrt wie James Hetfield in seinen besten Tagen.
Bis der Blues-Rock-Teil beginnt, erwarten den Hörer allerdings sechs facettenreiche Nummern, in denen nicht mehr viel nach den gewohnten THE ANSWER klingt. Als Opener überrascht der Titeltrack gleich mal als hypnotischer, düsterer Einstieg mit stampfendem, industriellem Rhythmus und einer Dramatik, die man so von den bisherigen Alben nicht kannte. Das epische "Beautiful World" - ein sehr eingängiger, sehnsuchtsvoller Rocker mit zahlreichen Gitarrenspielereien - könnte mit seinen Weltmusik-Einflüssen auch auf der letzten ROBERT PLANT-Platte stehen.
Danach sind es die irischen Wurzeln das Quartetts, die im Vordergrund stehen: "Battle Cry" stellt die faustdicke Überraschung auf "Solas" dar, indem die folkige Nummer mit einer genialen Performance von Neeson begeistert, nicht nur in den gälischen Chants an RUNRIG erinnert und gegen Ende sogar Samba-Percussions (!) auspackt. Diese befreite Stimmung zeichnet auch das atemberaubende "Thief Of Light" aus: Mit seinem fesselnden Beginn und der besonderen Stimmung klingt die wunderschöne Nummer wie die musikalische Vertonung des Lichts. Das folkige "In This Land" klingt nach Freiheit, saftigen grünen Wiesen, blauem Himmel, klarer Luft und enthält ein gefühlvolles Solo von Paul Mahon. Der Midtempo-Rocker "Untrue Colour" gefällt mit Stop-and-go-Passagen und einem exrem eingängigen Chorus, während das ruhige, leicht melancholische "Tunnel" den melodischen, bedächtigen Abschluss gibt.
"Solas" stellt auf knapp 50 Minuten das bisher facettenreichste Album der Nordiren dar. Die irische Tradition mit luftigen Folk-Elementen und mehrschichtigen Gesängen rückt in den Vordergrund. Trotz des epischen Charakters einiger Songs vergessen THE ANSWER ihre Wurzeln nicht und besinnen sich im zweiten Drittel auf ihre Blues-Rock-Vergangenheit zurück.
Das sechste Album der Nordiren ist ein vertonter Befreiungsschlag. Einer, der anders klingt als "Rise" oder "Everday Demons". Einer, der eng mit der persönlichen Geschichte von Cormac Neeson verwoben ist. Einer, dem man etwas Zeit geben muss, um ihn in seiner Genialität zu erfassen. Einer, der noch lange nachwirken wird.
Chrischi
Stile: Metal und (Hard) Rock in fast allen Facetten
Bands: Metallica, Pearl Jam, Dream Theater, Iron Maiden, Nightwish ...