Geschrieben von dirk-bengt Sonntag, 30 März 2008 03:55
Tribe After Tribe - M.O.A.B. (Stories from Deuteronomy) Tipp
Stil (Spielzeit): Ethno-Rock (66:26)
Rodeostar Records (04.04.08)
Bewertung: 9,5 / 10
Link: http://www.robbirobb.com
1993… PEARL JAM veröffentlichen „vs.“, NIRVANA „In Utero“ und SOUNDGARDEN & ALICE IN CHAINS nix Sinnvolles. Und ich kriege das erste Mal TRIBE AFTER TRIBE zu hören: „Love under Will“. Das Album des Jahres aus dem Grunge-Dunstkreis. Ohne dass es wirklich Grunge gewesen wäre. T.a.T. mischen Rock und World Music und erfinden so, was irgendwer „African-Acid-Rock“ nennt. Der massive afrikanische Einschlag, nimmt wenig Wunder, wenn man weiß, dass Mastermind Robbi Robb ein (weißer) Südafrikaner ist, der sich seinerzeit wegen der Apartheid in die US of A abgesetzt hat.
TRIBE AFTER TRIBE haben so manchen damals mit ihrem exotischen Groove vom Sofa geholt. Die Betonung liegt auf „manchen“. Denn obwohl „Hold on“, „Ice Below“, „Babalon“ etc. weit mehr Charisma abstrahlten als die meisten Chartstürmer aus Seattle, haben T.a.T. nie deren Bekanntheitsgrad erreicht. Geschweige denn den, den sie verdient hätten. Lag’s daran, dass Robb sich nicht auf die musikalischen / textlichen Clichés beschränken ließ, die man aus Rain City gewohnt war? Vielleicht aber hatten sie auch nur das Pech, im Krieg zwischen Megaforce und Atlantic Records zwischen die Fronten zu geraten, als sie gerade durchstarten wollten. Wie auch immer.
2008… und das nunmehr sechste Album erscheint. Und M.O.A.B. ist das wohl schwierigste, weil ambitionierteste Album der Bandgeschichte geworden. Am Status Quo in Sachen „Verkaufszahlen“ wird sich also, so vermute ich mal ganz richtig, nicht rasend viel ändern. M.O.A.B. ist ein Konzeptalbum, das zwar höchsten Ansprüchen genügen dürfte, aber auch hohe Ansprüche stellt. Für unsere enthirnte Zeit keine guten Startbedingungen. Aber Verkaufszahlen sind wahrscheinlich ohnehin nicht Robbs vorrangiges Interesse.
Auf einen simplen Nenner gebracht: es geht auf M.O.A.B. um jenen imperialistischen Grundzug, der der Menschheit eine Geschichte eingetragen hat, die vorwiegend von Kriegen, Vertreibung, Unterdrückung, Manipulationen handelt. M.O.A.B. schlägt einen thematischen Bogen vom Pentateuch (i.e. die „Fünf Bücher Moses“ des Alten Testaments) bis zu den Kriegen unserer Tage. Quasi ein ganz „Neues Testament“, dass auf die Tatsache aufmerksam macht, dass unsere so genannte Zivilisation bis zum Hals in antiquierten Vorstellungen steckt und sich seit den Tagen der alttestamentarischen Völkermorde keinen Schritt weiterentwickelt, stattdessen nur die Tötungstechniken verfeinert hat.
Wie die Bibel verschiedene exegetische Ebenen bereithält, so auch M.O.A.B. Nur ein Beispiel: So steht der Titel für die Region Moab, deren Bewohner auf Geheiß YHVHs (so schrieb sich „der liebe Gott“ seinerzeit) von den Israeliten bis zum letzten Kind niedergemacht wurden. M.O.A.B steht aber auch für „Umm al-ma'arik“ oder auf Neudeutsch: „Mother Of All Battles“ wie Saddam Insane, den zweiten Krieg um die irakischen Ölfelder nannte... --- Und die literarische Vielschichtigkeit spiegelt sich vielschichtiger Musik. Grundsätzlich hat sich scheinbar nichts verändert:
Noch immer schreiben T.a.T. gitarren- und perkussionorientierte Rocksongs, die beim ersten Mal zünden. Robb weiß einfach, was in die Beine geht… oder hypnotische Strahlkraft entwickelt... Wozu seine gnadenlos geile Stimme einen wichtigen Teil beiträgt. Angereichert mit Anleihen aus der folkloristischen Musik unterschiedlichster Völker: es klingt indianisch, afrikanisch, orientalisch, australisch. Dazu diverse Geräuschkulissen: von Kampfjets über die Idylle des sonntäglichen Kirchgangs bis zur Hektik des Straßenlärms einer Kreuzung im Nahen Osten.
Aber wo andernorts zwischen die Songs einige Samples drapiert werden, um einen konzeptionellen Eindruck zu hinterlassen, sind hier die Songs zu tragenden Säulen von Soundkollagen umfunktioniert, die eine Botschaft zu transportieren haben. --- Dennoch ist M.O.A.B. kein Hörspiel, sondern ein komplexes Album mit ineinander verwobenen Rocksongs von stark erhöhtem künstlerischem Anspruch.
Geändert hat sich gegenüber `93 definitiv die Atmosphäre:
Konnte man auf „Love under Will“ beinah ungestört zu (schein-)paradiesischen Grooves über die Savannen und durch den Dschungel wandern, und war musikalisch das Bedürfnis Robbs nach Frieden und Harmonie omnipräsent, so herrscht auf M.O.A.B. eine weit bedrohlichere und melancholischere Stimmung vor. Man meint, auch der Muezzin ruft hier nicht zum Gebet, sondern zum Gihad. Und die schwarzen Gesänge, die man früher als lebensbejahendes Fruchtbarkeitsritual interpretiert hätte, klingen heute eher nach Kriegstanz. Besonders beeindruckend: Wenn Amritakripa (Robbs Ehefrau und TAT-Keyboarderin) aus dem Deuteronomium zitiert. Gerade die Zartheit ihrer Stimme und ihr feiner englischer Akzent streichen die Grausamkeit des lakonisch geschilderten Genozids heraus. --- Die bedrohlichen Assoziationen stellen sich nicht durch Samples oder Spoken Words allein ein. Multiinstrumentalist Robb hat eine leichte Schwäche für Dissonanzen entwickelt, die u.a. in der Gitarrenarbeit für eine ungewohnte Härte sorgen.
Stellvertretend für das ganze Album möchte ich versuchen, den letzten Track „World Drum“ zu skizzieren; er beginnt mit Samples: technisch verzerrte, kaum verständliche Stimmen -- stellvertretend für unser Kommunikationszeitalter -- ein amerikanischer Fernsehprediger erzählt sich was… Trommeln setzen ein (die bis zum Ende bestimmend bleiben). Und andere indianische Rhythmusgeräte. Sie rufen die Menschen zusammen. Leiser Stakkato-Chor, beschwörend. Unbemerkt hat sich richtige Musik eingeschlichen und dann kommt Robbs phantastische Stimme in all ihrer melodiösen Intensität. Und ernsten Trauer: 1, 2 Verse lang.
Dann indianische Gesänge. Traumschön und voller Magie, aber es ist der Abgesang eines untergegangen Volkes. Eine Totenklage und Mahnung zugleich. Dann wieder Robs Gesang … die Stromgitarre setzt zu einem wunderschönen Solo an. Mehrfach. Aber jedes Mal endet das Solo kakophonisch, beinah verzweifelt. Die Gitarre gibt auf. Zum Ende hin hört man nur noch die Trommeln, die langsam absterben… Aus. Eine perfekte Dramaturgie, die sich auch im gesamten Album offenbart.
Ein schwer geiles, leicht psychedelisches Meisterwerk, das viel mehr zu sagen hat, als in diesem Rahmen wiederzugeben ist. Eine entschieden intelligentere Abrechnung mit dem chauvinistischen Monotheismus als der pubertäre Black Metal - Satanismus. Zudem musikalisch hervorragend inszeniert. – Trotz der Eingängigkeit der mächtig groovenden Songs ist M.O.A.B insgesamt nicht gerade leicht verdaulich. Und es verlangt nach Auseindersetzung und vor allem Reaktion. Die Beinahe-Höchstnote. Einen halben Punkt ziehe ich willkürlich ab, weil das Album konzeptionell zu gelungen ist; will sagen, dass die Songs eigentlich immer im Kontext gehört werden müssen.
p.s. Am Erscheinungstag (04.04.08) gibt’s die Releaseparty im Logo, Hamburg. Und wer T.a.T. bereits einmal live gesehen hat, wird sich das wohl kaum entgehen lassen.