Als ich NICOFFEINE mehr oder minder zufällig mal live gesehen habe, ist binnen weniger Minuten der Verstärker im Arsch gewesen – und ganz ehrlich: Ich kann ihn verstehen. Denn auch ich empfinde die Musik, die ich jetzt auf CD zu Hause habe, irgendwie als Belastungsprobe. Aber im Gegensatz zum Amp stelle ich mich. Es könnte sich lohnen.
Aber mal von Anfang an. „Au Revoir Golden Air“ beginnt gefährlich ruhig mit leierndem Gesang, zu dem man sich verrückte und gar nicht lustige Clownsgesichter vorstellen muss, die Gitarre klingt wie ein sich nähernder Wespenschwarm. „Goldenbergersteeg“ gilt also eher als Intro, bevor NICOFFEINE, ein Trio aus Koblenz, mit „Wolf In Bathtub“ richtig einsteigen. Aber was ist das - Noise, Jazz oder Scheiße?
Noise: Check. Denn viel extremer geht es kaum. Angesichts der entrückten Rhythmen, des Psychogeschreis und des dissonanten Krachs gibt es nur zwei Optionen: schreiend Weglaufen oder fasziniert spüren, wie sich alle Körperhaare aufstellen. Und es mögen.
Jazz: Check. Zumindest das Feeling stimmt. Wenn man nicht schon schreiend weggelaufen ist, merkt man schnell, dass Bass, Schlagzeug, Gitarre und Synthesizer von Könnern gespielt werden. Und die Könner kennen sich, sie verstehen sich blind – sie vermengen ihre Instrumente zu einer undurchdringlichen, organischen Einheit, die wesentlich chaotischer und spontaner klingt, als sie ist. Und übrigens erinnert der Sound mit seiner luftigen Kühle ebenfalls viel mehr an Cool Jazz als an alles, was man heute unter harter Musik versteht.
Deshalb: Keine Scheiße, ganz und gar nicht. Spätestens der abschließende, überlange Titeltrack entfaltet eine seltsame, krude Art von Schönheit. „Au Revoir Golden Air“ fließt frei und offen, schwillt an und ab. Wer es bis hierhin geschafft hat, darf sich verlieren, so wie NICOFFEINE es offenbar auch getan haben.
Unterm Strich also: Kein einfaches Album und auch keines, das ich zum Frühstück, beim Autofahren oder überhaupt besonders häufig hören werde. Ein sehr gutes Album ist es aber trotzdem, weil es spannend, atmosphärisch, absolut schrankenlos und trotzdem in sich schlüssig ist.
Helge
Stile: Doom Metal, Black Metal, Post Rock, Stoner, Prog
Bands: My Dying Bride, Opeth, Nachtmystium, Saint Vitus, Genesis