Tastenklänge mogeln sich mal mehr, mal weniger dominant zwischen die dicke Woge aus Gitarren, Bass und Drums. Farfisa-Freunde werden sich über die Künste von Keyboarder Daniel freuen, dem Orgeln abgeneigte Hörer sind quasi raus. Sieben Songs verteilt auf 45 Minuten, kurze Kompositionen nach Schema F finden sich hier nicht. Ohne dauerhaft oder offensiv auf Härte zu setzen, bauen MOTOROWL einen bemerkenswerten Druck auf, von dem man sich spätestens nach dem zweiten Durchlauf in den Bann ziehen lässt.
MOTOROWL verstehen ihr Handwerk
Dass die jungen Musiker sich überhaupt wagen, noch auf den Retrozug aufzuspringen, verlangt schon Respekt. Was dann aber unterm Strich auf "Atlas" zu hören ist, unterstreicht doppelt und dreifach deren Daseinsberechtigung. Der Opener "Infinite Logbook" spaced zackig rein und zeigt gut die Bandbreite von MOTOROWL. Relativ schnell sind alle Elemente vorgestellt und gut in einem Song verwoben. Wer diesen Song mag, wird "Atlas" lieben. Growls sucht man auf "Atlas" vergeblich, Sänger Max intoniert klar und stark melodisch, aber deutlich weniger speziell, als bspw. Einar Solberg von LEPROUS.
Besonders die musikalischen Freiflüge, in denen MOTOROWL tatsächlich Schwerelosigkeit erzeugen können, ragen heraus. Nach einem anschwellenden Aufbau eskaliert "The Man Who Rules the World" eben nicht mit einem nackendrückenden Solo und zelebriert sich stattdessen schwebend theatralisch zum Finale. Singende Gitarren beim Titelsong "Atlas", der berauschende Einstieg von "To Give", die ansprechende, beklemmende Düsternis von "To Take", die überragende Gitarrenarbeit in "The Man Who Rules the World" oder das epochale Finale von "Norma Jean"– Highlights lassen sich auf "Atlas" viele benennen, nennenswerte Schwächen finden sich dagegen nicht.
Ab diesem Punkt entscheiden eher eigene Befindlichkeiten: Die Stimme könnte zu wenig theatralisch sein oder zu viel. Die Songs könnten zu lang sein oder zu kurz, für manchen könnte "Atlas" auch mehr Härte vertragen. Sei's drum, das sind Befindlichkeiten, die das Album dann zwischen 8 und 10 Punkten rangieren lassen, aber an der Qualität nichts ändern.
MOTOROWL haben Großes vor
Auffällig ist auch, dass MOTORWOL ihrem Stil auf "Atlas" zwar treu bleiben und kompositorisch trotzdem stark variieren. Nicht üblich, dass eine Band in diesem Stadium überhaupt schon einen Stil hat und selbst Szenegrößen daddeln ungeniert immer wieder die gleichen ein oder zwei Songbauten. Wenn MOTOROWL über lange Strecken instrumental bleiben, werden sogar Erinnerungen an progressive Momente von AMORPHIS oder an die Prog-Meister von OPETH wach ("Norma Jean"). Diese hochwertigen Querverweise resultieren aus den bemerkenswerten Stärken, die MOTOROWL nicht nur kompositorisch, sondern auch rein technisch mitbringen. Die Band kennt sich von der Musikschule, der an dieser Stelle gute Arbeit bescheinigt werden kann.
Vollkommen zu Recht sind MOTOROWL bei Century Media unter Vertrag, die Band wird noch einiges an Staub aufwirbeln.
Trackliste "Atlas" (Dauer: 45:06)
1. Infinite Logbook
2. The Man Who Rules the World
3. Atlas
4. To Give
5. To Take
6. Cargo
7. Norma Jean