Die Antwort ist: Ich weiß es nicht mit Sicherheit, doch nach dem 53-minütigen Hörvergnügen haben sich so einige Theorien entwickelt. Doch zunächst einmal zum mysteriösen Quintett, das sich FARFLUNG nennt.
FARFLUNG wurden 1994 von Tommy Grenas und Michael Esther in Los Angeles gegründet und sie beschreiben ihre eigene Musik als „total cinematic sounds“. Dem Psychedelic-, Space-, Kraut- und Stoner-Rock kann man sie zwar zuordnen, doch bevor man an seinem Schubladendenken verzweifelt, ist „Nicht-Kommerzieller Rock“ wohl der beste Kompromiss. Wer gerne im Untergrund ein wenig stöbert, wird auf diesen Bandnamen sicher gestoßen sein, denn FARFLUNGs Output ist enorm! Auf unzählige LPs und EPs kann die Band zurückblicken und stolz sind sie – darauf kann man wetten!
Theorie 1: Die musikalische Kapsel
Hochgelobt seit jeher von Kritikern und namenhaften Bands, haben es FARFLUNG dennoch nicht geschafft, mehr als „nur underground“ zu sein. Das mag zwar für zielstrebige Bands ein wenig frustrierend sein. FARFLUNG jedoch gehen die Sache ganz gelassen an. Ohne Stress und Druck tun sie das, worauf sie am meisten Lust haben – Musik schreiben. Und zwar genau so, wie sie es wollen, ohne sich irgendwelchen musikalischen Konventionen zu unterwerfen.
Der größte Ansporn? Sein eigener größter Fan sein, denn sie lieben ihre Musik. Sie produzieren und genießen das Produzierte und arbeiten somit in ihrer eigenen kleinen, abgeschlossenen Kapsel, in der sie ihre Experimentierfreudigkeit ausleben können. „This Capsule“ – eine Widmung an die eigene Arbeit der letzten 24 Jahre?
Theorie 2: Die Raumschiffkapsel
Wie schon die Titel „Flesh For A Moonless Star“ oder „Prostitute To Spacecraft” verraten, sind die Jungs dem Außerirdischen nicht ganz abgeneigt, was sich auch in den Synthie-Einlagen widerspiegelt. Alien-Geräusche, erzeugt durch schräges Piepsen, seltsames Flimmern und unverständliche Texte, ziehen sich als allgegenwärtiges Schema durch alle fünf Tracks.
Dennoch scheinen sie am Irdischen festzuhalten. Es gibt der Musik Struktur und bewahrt das Konstrukt vor dem absoluten Kollaps. Standard Rock-Riffs und gleichmäßige Rhythmen pulsieren, melodische Bass-Linien werden vorgestellt, bevor danach die volle Munition ausgefahren wird. Menschliche Stimmen, die durcheinander reden, gesprochene Texte wie aus dem Fernsehen und sich ganz geschmeidig anbahnende Melodien, die sich aus dem Tohuwabohu winden – Carl Sagans „Voyager Golden Record“ schwebt durch Zeit und Raum. „This Capsule“ – eine Reise durchs All?
Theorie 3: Der Drogenrausch
Eine sphärische aber dennoch gefährliche Atmosphäre zieht sich durch die Platte, abgefahrene hohe Stimmen jammern ganz unverständlich im Off, quietschende Geburtstagströten, in die jemand aggressiv pustet und ja, einfach pure Geräusche wird man wahrnehmen. Allgemein werden die Sinne extrem strapaziert. Egal, wie oft man „This Capsule“ hören wird – irgendeinen weiteren abgefahrenen Synthie-Sound wird man immer entdecken. FARFLUNG scheinen ihren Drogenhimmel schlechthin zu kreieren. „This Capsule“ – die übernatürliche Partydroge?
Theorie 4: Die mentale Kapsel
Puh, ganz ehrlich: Das Album ist verdammt anstrengend zu hören. Man muss sich fallen lassen und darauf einlassen. „Genießen“ ist das große Stichwort und irgendwie auch „allein sein“ oder sich ausklinken, abkapseln von der Außenwelt. „This Capsule“ ist kein Hörerlebnis für „mal kurz in der Bahn“. Nein, FARFLUNGs Alben muss man im Stillen, im Ruhigen hören. Nur dann ist das gute Stück genießbar. Und das ist wirklich verdammt schwer! Besonders das 20-minütige Monster „Prostitute To Spacecraft“ verlangt viel Konzentration, denn es ist zäh. Dauerhafte Wiederholungen wie eine Zeitschleife oder ein Echo lassen dich fast wahnsinnig werden. „This Capsule“ – ein Sinnbild für Abgeschiedenheit?
Was genau diese „Kapsel“ sein soll, werden wir wohl nicht erfahren, doch was ich damit sagen will: „This Capsule“ kann gefährlich sein. Dich verrückt machen, dir den Boden unter den Füßen wegziehen oder dir auch schlichtweg nicht gefallen. Man muss gewarnt sein: „This Capsule“ ist für Luxuskonsumenten. Menschen, die sich Zeit für ihre Musik nehmen. Menschen, die ihre Musik mit jeder Faser aufnehmen wollen. Menschen, die bereit sind, sich fallenzulassen und ihre Zeit der Musik zu widmen. Solltest du so jemand sein, dann herzlichen Glückwunsch: „This Capsule“ – ein heißer Tipp für kalte Herbsttage.
Tracklist:
Anymore because
Flesh For A Moonless Star
Red Today
Prostitute to Spacecraft
When Dull Wolves Dream
Line-Up:
Rodriguez
Hischier
Nakata
Grenas
Esther