Kreator - Hate Über Alles Tipp

Kreator - Hate Über Alles
    Grenzen sprengender Thrash Metal

    Label: Nuclear Blast
    VÖ: 10.06.2022
    Bewertung:9/10

    KREATOR im Web


In der deutschen Metal-Szene sind KREATOR eine der sichersten Konstanten überhaupt. Seit ihrer Wiederauferstehung mit "Violent Revolution" 2001 liefert das Quartett ein hochwertiges Album nach dem anderen ab. Das ändert sich auch mit "Hate Über Alles" nicht, obwohl Mille & Co. bei Album Nummer 15 noch weiter über den Tellerrand hinausblicken als zuvor.

Auf "Hate Über Alles" feiert Bassist Frederic Leclercq (ehemals DRAGONFORCE) seinen Album-Einstand. Er stieß 2019 zur Band und beerbte Viersaiter Christian "Speesy" Giesler, der ein Vierteljahrhundert lang fester Bestandteil von KREATOR war. Abgesehen davon hat sich hinter den Band-Kulissen nichts getan, mit den Gründungsmitgliedern Mille Petrozza und Drum-Maschine Jürgen "Ventor" Reil sowie Sami Yli-Sirniö, der mittlerweile auch schon seit mehr als 20 Jahren dabei ist, bleibt die Besetzung ansonsten konstant – ganz im Gegensatz zum allgemeinen Weltgeschehen.

Mille hat ordentlich Wut im Bauch

Nicht nur aufgrund der Pandemie haben sich die Umstände, unter denen das neue KREATOR-Werk veröffentlicht wird, verändert, wie Mille Petrozza erklärt:

"Hate Über Alles" spiegelt die Zeit wider, in der wir leben. Alles ist laut und aggressiv. Durch Social Media hat sich die Weise verändert, in der wir kommunizieren. Das sorgt für viel Ungleichgewicht. Die Welt kann eigentlich nicht mehr repariert werden. Das Leben ist momentan nicht harmonisch, sondern disharmonisch. Darauf spielt der Titel an.

Umso weltoffener gibt sich die Band selbst. "Hate Über Alles" wurde in den Berliner Hansa Studios aufgenommen, in denen schon legendäre Alben von Acts wie DEPECHE MODE, U2 und DAVID BOWIE entstanden sind. Um den satten Sound kümmerte sich Produzent Arthur Rizk im Studio Wong, das aufsehenerregende Artwork gestaltete Eliran Kantor. Mit Drangsal und Sofia Portanet begrüßen KREATOR zudem zwei sehr unterschiedliche Gastsänger.

Auch, wenn es wie eine Drohung klingt: Auf "Hate Über Alles" zeigt sich die deutsche Thrash-Institution so abwechslungsreich und experimentierfreudig wie zuletzt auf dem kontrovers diskutierten "Endorama" (1999), das nur wenig später den Boden für die Thrash-Renaissance der Band bereitete. Mehr als 20 Jahre später schaffen es KREATOR jedoch diesmal, diverse Einflüsse so gekonnt miteinander zu verweben, dass das Ergebnis jederzeit unverkennbar nach Mille & Co. klingt.

Nach "Until Our Paths Cross Again", "Death Becomes My Light" oder "Fallen Brother" sind genresprengende Songs im KREATOR-Kontext keine Überraschung mehr, sondern eher eine logische Konsequenz. Vom rumpelnden Thrash Metal ihrer Anfangstage hat sich die Band schon lange verabschiedet. Und doch: Wer nur von Hymnen, Ohrwürmern und eingängigen Melodien spricht, vernachlässigt die brutale Kraft, die das Quartett mit Doublebass-Geballer, präzisen Riffs, intensiven Soli und Milles wütendem Gekeife entfesselt.

Einmal die KREATOR-Historie in 46 Minuten, bitte!

"Sergio Corbucci Is Dead" ist nicht nur ein schönes Western-Intro in bester KREATOR-Manier, sondern gleichzeitig eine Verbeugung vor dem gleichnamigen, verstorbenen "Django"-Regisseur. Der oldschoolige Titeltrack fegt gleich zu Beginn alle Zweifel beiseite und feuert aus allen Rohren – angepisster Mitsing-Refrain, unfassbar hohes Tempo, Überschall-Soli und feinste Doppel-Leads inklusive. Was für ein Einstand!

Auch das Punk-Feeling versprühende "Killer Of Jesus" macht keine Gefangenen, Ohrwurm-Refrain und Mitsing-Parts gieren geradezu nach Moshpits im Publikum.

Das schleppende, leicht doomig angehauchte "Crush The Tyrants" ist eine brachiale Midtempo-Hymne mit fantastischen Gitarrenleads- und soli. Man mag sich gar nicht vorstellen, was mit dieser Band passiert wäre, wenn Sami Yli-Sirniö ihr kein neues Leben eingehaucht hätte.

Die eröffnenden Leads in "Strongest Of The Strong" nehmen den hymnischen Mitsing-Chorus vorweg, die Nummer weiß als geradlinige, zackige Hymne mit variablem Drumming und MAIDEN-angehauchten Doppel-Leads zu begeistern.

Mit "Become Immortal" schaffen KREATOR, was sich MANOWAR heute nur noch wünschen können: Eine arschtighte, klassische Metal-Hymne mit höchst traditionellem Riffing abzuliefern, die nicht nur im Break mit seinen "Oh-oh-oh"-Chören für Konzerte absolut prädestiniert ist. Remember, remember where you came from!

"Conquer And Destroy" geht mit Doublebass-Power wieder nach vorne und punktet mit extrem eingängigen Gitarren und hektischen Strophen, bis der ultramelodische Chorus erklingt. Der Part nach dem Gitarrensolo gewinnt dank Gastsänger Drangsal und stetiger Wiederholungen gekonnt an Eindringlichkeit – ganz, ganz großes Kino!

"Midnight Sun" mit seinem unverkennbaren Gothic-Touch wird Alt-Fans spalten, ist mit seinem klassischen Thrash-Riffing aber ungemein effektiv und erneut ein absolut grandioser Ohrwurm. Die ätherischen Vocals von Sofia Portanet im Refrain sorgen für eine ganz besondere Stimmung, der man sich nur schwer entziehen kann.

Mit "Demonic Future" präsentieren KREATOR zum Ende hin nochmal einen klassischen Thrasher, während "Pride Becomes The Fall" eine weitere stampfende Hymne darstellt. Beide Songs benötigen zwischen all den Höhepunkten ein wenig Anlauf, bis sie zünden, fügen sich dann aber passend in den Album-Kontext ein.

Wenn quasi jeder Song ein Volltreffer ist, kann es eigentlich keinen Favoriten geben – oder doch? Für mich ist es der knapp siebenminütige Abschluss "Dying Planet", mit dem sich KREATOR stimmungstechnisch und musikalisch stellenweise auf Black-Metal-Pfade begeben. Die ultradichte, rabenschwarze Atmosphäre verursacht mir selbst beim Schreiben dieser Zeilen eine fette Gänsehaut. Milles "Dying, dying planet!"-Rufe gehen durch Mark und Bein, Ventors Blastbeat-Gewitter lässt den Mund fassungslos weit offen stehen. Sind die letzten Töne erst erstorben, führt gar kein Weg daran vorbei, sich dieses 46-minütige Meisterwerk erneut in die Ohren zu pressen.

Scheiß auf Genre-Regeln – "Hate Über Alles" ist einfach saugeil!

Wir wollten eingängige Songs schreiben, die die Leute live feiern können. Im Thrash oder generell im Metal sind vermeintliche Genre-Regeln bisweilen wichtiger als die Qualität der Songs. Mir persönlich ist das Genre im Grunde aber egal, es gibt nur gute und schlechte Songs.

(Mille Petrozza)

Wahre Worte! Und so steckt "Hate Über Alles" voller wahnsinnig geiler Songs, die Grenzen sprengen und dennoch stets nach KREATOR klingen. Letztlich ist es völlig scheißegal, wer oder was sie wie beeinflusst hat.

Wenn sich Mille darüber auskotzt, dass sich jeder an die Gurgel geht und diese beschissene Welt nicht mehr zu retten ist, tut er das ausgerechnet vor den abwechslungsreichsten, weltoffensten Kompositionen der Bandgeschichte – quasi dem musikalischen Pendant zu Toleranz und Diversität. Leute, geht's denn noch besser?!

"Hate Über Alles" Trackliste:

01. Sergio Corbucci Is Dead
02. Hate Über Alles
03. Killer Of Jesus
04. Crush The Tyrants
05. Strongest Of The Strong
06. Become Immortal
07. Conquer And Destroy (feat. Drangsal)
08. Midnight Sun (feat. Sofia Portanet)
09. Demonic Future
10. Pride Comes Before The Fall
11. Dying Planet

KREATOR Line-up:

Mille Petrozza - guitars, vocals
Sami Yli-Sirniö - guitars
Frédéric Leclercq - bass
Jürgen "Ventor" Reil - drums

Chrischi

Stile: Metal und (Hard) Rock in fast allen Facetten

Bands: Metallica, Pearl Jam, Dream Theater, Iron Maiden, Nightwish ...