Geschrieben von Freitag, 20 Mai 2016 12:51

Die Akte AC/DC

"Das sind doch nicht mehr AC/DC!" - "Die Band soll sich endlich verabschieden und in Rente gehen!" - "Die machen das doch nur noch wegen der Kohle!" - "Mir würden zehn bessere Sänger für AC/DC einfallen, als Axl Rose!"

Erkennt ihr sie wieder, liebe AC/DC-Basher? Eure Argumente gegen eine Rocklegende, die in zwei Jahren gleich drei Ausfälle im Bandgefüge kompensieren musste und nun einfach nur ihre Tour zum Album "Rock Or Bust" zu Ende spielen möchte?

Seit bekannt wurde, dass Axl Rose als Sänger einspringen wird, toben Diskussionen zwischen Fans, anderen Musikern und Comedians, die meinen, dass AC/DC nicht mehr AC/DC sind. Warum eigentlich? Brian Johnson kann nicht mehr auf der Bühne stehen, sonst verliert er sein Gehör. Ein verdammt guter Grund, die Tour nicht zu beenden. Malcolm Young ist seit den Aufnahmen zu "Rock Or Bust" wegen seiner zunehmenden Demenz nicht mehr in der Band. Und Phil Rudd hat es mit den Drogen und Exzessen ein wenig zu gut gemeint.

Mit Stevie Young wurde die große Lücke, die Malcolm hinterließ (seine fortschreitende Demenzerkrankung teilte er bereits 2008 seinen Bandkollegen mit), mit der naheliegendsten Möglichkeit gefüllt: Ein Gitarrist im selben Alter wie der Rest der Band, ebenfalls aus der Young-Familie, mit einer engen Bindung zur Band seines Onkels Angus. Phil Rudd, dem es bei den Aufnahmen zu "Rock Or Bust" laut Bandaussagen an Zuverlässigkeit mangelte, durfte wegen der Prozesse in seiner Heimat Neuseeland den Drumhocker räumen. Auf ihm sitzt seit 2015 Chris Slade, ein alter Bekannter, der bereits von 1989 bis 1995 für AC/DC trommelte – einer Zeit, in der Rudd nicht zur Band gehörte (von 1982 bis 1989 trommelte Simon Wright). Von ihm sagte Angus Young einmal: "Slade was the best musician in AC/DC". Eigentlich sehr gut nachvollziehbare Wechsel, oder nicht? Hey, diese Band hat selbst nach dem Super-GAU, dem Tod ihres Leadsängers Bon Scott 1980, zusammengehalten und weiter gemacht!

Nun also Axl Rose als dritter Neuzugang innerhalb von zwei Jahren. Ob er auch nach den "Rock Or Bust"-Dates bleiben wird, ist nicht bekannt. Er hat signalisiert, dass auch ein Engagement nach der Tour in Frage kommen würde. Aber das ist noch Zukunftsmusik – genauso wie die Genesung von Johnson. Wie so viele andere war auch ich mehr als skeptisch: Rose und AC/DC? Das passt doch nicht! Der erste Gedanke: Gut, dass ich die Band noch im letzten Jahr mit Johnson gesehen habe. Und dann kamen die ersten Mitschnitte des Konzerts in Lissabon, dem Tourauftakt der 2016er "Rock Or Bust"-Tour und der erste öffentliche Auftritt mit Rose ins Netz. Die 7.000 Fans, die ihr Ticket zurück gegeben haben, tun mir immer noch Leid. Neuer Gedanke: Jammerschade, dass ich AC/DC mit Rose nicht sehen kann!



Denn was AC/DC mit Axl Rose in Lissabon und weiteren Städten abgezogen haben, war unfassbar. Jetzt mal ehrlich: Wann habt ihr "Thunderstruck" das letzte Mal mit so genialen Vocals gehört? Überhaupt schon mal? Großartig! Man mag mit Axls Stimme ja immer GUNS N' ROSES in Verbindung bringen. Und er mag auch nicht die erste Wahl als Sänger gewesen sein. Aber eins steht einwandfrei fest, dafür müsst ihr euch nur die zahlreichen Mitschnitte anhören: Seine Stimme passt perfekt zu Angus, Cliff, Chris und Stevie. Und der einst als exzentrisch, unpünktlich und unzuverlässig beschriebene Typ kreischt sich so punktgenau durch Klassiker wie "Shoot To Thrill", "Hells Bells", "You Shook Me All Night Long" oder "Rock 'n' Roll Damnation", dass Gänsehaut garantiert ist. Was für ein Glücksgriff ist Angus & Co. denn da bitte gelungen?!

ACDC mit Axl Rose Livebild aus Protugal 2Chris Slade postete jüngst auf Facebook, dass AC/DC gar nicht daran denken, in Rente zu gehen. Ob mit Johnson oder Rose wird die Zukunft zeigen. Es ist lächerlich zu denken, die Band mache das nur der Kohle wegen. Als ob die Mitglieder es nötig hätten ... Rudd vielleicht, gab er doch letztens erst im neuseeländischen TV zu Protokoll, dass er seinen Job zurück haben, auf Tour gehen und eine Menge Kohle machen möchte. Und: Es sei Angus' Entscheidung, ob er zurück in die Band dürfe. Rudd selbst ist sich ziemlich sicher: "Gib mir nur fünf Minuten in einem Raum mit ihm [Angus] und ich habe meinen Job zurück. Das verspreche ich dir". Sein abschließender Kommentar dürfte seine Position aber nicht gerade verbessern: "Sind das überhaupt noch AC/DC? Nicht mehr die wundervolle Stimme von Bon. Kein Malcolm. Kein Brian." Puh.

Rechnet doch mal nach: So wichtig Bon Scott für AC/DC war – er ist seit 1980 tot. Johnson ist mit 35 Jahren Bandzugehörigkeit also um ein Vielfaches länger Mitglied bei AC/DC, als sein Vorgänger. Man kann Slade in seinen Facebook-Posts schon beim Wort nehmen, dass die Band Johnson vermisse. Gleichzeitig macht er unmissverständlich klar, dass die Tour für Brian wegen seiner gesundheitlichen Probleme einfach keine Option gewesen sei.

Diese ganzen Verschwörungstheorien (Johnson wurde laut Comedian Jim Breuer aus der Band geworfen, was Young, Williams und Rose kurze Zeit später in einer Videobotschaft dementierten), peinlichen Kommentare von anderen Musikern und "Das ist nicht mehr die Originalbesetzung"-Posts sind doch gequirlte Kacke.

Apropos Originalbesetzung: Selbst Bassist Cliff Williams stieß erst 1977 nach den ersten Alben zur Band (Mark Evans, irgendwer?). Die einzigen Gründungsmitglieder waren stets Angus und Malcolm. Es stimmt: Das sind nicht die AC/DC der Urbesetzung. Aber die gibt es schon seit langer, langer Zeit nicht mehr. Ohne Umbesetzungen hätte es keinen Bon Scott bei AC/DC gegeben. Keinen Phil Rudd. Keinen Cliff Williams. Keinen Brian Johnson. Die Umstände der letzten Jahre ließen nur zwei Möglichkeiten: Mit anderen, sehr vertrauten Musikern weiter machen oder aufhören. Und letzteres war anscheinend keine Option. Warum auch? Wieso sollte die Band, ob mit alten oder neuen Gesichtern, mit ihrem Lebensinhalt nicht noch so lange weiter machen wollen, wie es geht?

"Who are we, who are we to decide when it's time for AC/DC to be done or not?", sagte SLIPKNOT-Sänger Corey Taylor kürzlich. Wie verdammt Recht er doch hat!