Geschrieben von Freitag, 08 Dezember 2006 15:34

Portugal.The Man - Interview mit Sänger und Gitarrist John Gourley zum Album "Waiter: You Vultures!"


 

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 Link: www.portugaltheman.net/
www.myspace.com/portugaltheman

 
PORTUGAL. THE MAN haben es mit ihrem Debütalbum "Waiter: You Vultures!" auf Anhieb zur Platte des Monats der Visions und zur BurnYourEars-Empfehlung gebracht.
Was ist das eigentlich für eine Truppe aus dem eisigen Alaska, die sich anzuschicken scheint, eine der prägenden Indie-Bands zu werden? Sänger und Gitarrist John Gourley gab BurnYourEars vor dem Konzert am 22.10.06 im Gleis 22 in Münster unter anderem einige Erklärungen für die LED ZEPPELIN –artigen Live-Interpretationen des Albummaterials.

Aber bevor es zum Gespräch kam, hieß es warten, denn die Band war noch nicht eingetroffen. Gute Gelegenheit, sich die Fragen (und Kaltgetränke!) durch den Kopf gehen zu lassen. Irgendwann schlenderten dann ein paar sympathisch-schmuddelige Gestalten herein, als hätten sie alle Zeit der Welt. Ein schmächtiger, unrasierter Typ im ausgefransten Kapuzenjäckchen entpuppt sich als unser Interviewpartner. Während der Rest der Band wenige Meter entfernt und nur durch eine dünne Wand von uns getrennt schonmal mit dem Soundcheck beginnt, erzählt John etwas schüchtern von Helden, Fußböden und Bären. Wie es dazu kommt? Lest selbst...


Hallo John! In diesen Tagen habt ihr etwa die Hälfte eurer Europatour hinter euch. Was denkst du über den bisherigen Verlauf, und wie waren die Reaktionen des Publikums?

Es scheint sehr gut zu laufen. Da wir zum ersten mal hier sind und sogar zum ersten mal außerhalb der USA, wussten wir nicht, was wir zu erwarten hatten. Es ist schön, jeden Abend die ganzen Leute dazuhaben und zu sehen, dass sie Spaß haben. Sehr seltsam für uns war die Sache mit der Setlist. Wir sind mit der Erwartung hergekommen, 25 oder 30 Minuten zu spielen, denn das ist drüben Zuhause ein normales Set. Hier haben wir gemerkt, dass wir eine oder anderthalb Stunden zu spielen haben. Das war zuerst sehr stressig, aber es ist sehr cool, weil wir rumjammen können und das sehr gut klappt.
Wie stark verändert und verlängert ihr spontan eure Songs?

Oh ja, wir tendieren dazu, Vieles anders als auf dem Album zu spielen. Das hat sofort gut funktioniert. Wir hatten ja lange keinen Drummer, denn Jason [Sechrist] war vor den Aufnahmen noch nicht in der Band. Wir wollten unbedingt ins Studio und haben das dann auch getan. Wir fragten ihn, ob er mitmachen wolle, und er ist dann zum Schluss dazugekommen und hat die Drums eingespielt. Dadurch war es weniger ein Bandalbum, weil es leider nicht die Möglichkeit dazu gab. Da wir live mehr Möglichkeiten haben, spielen wir einiges anders. Oder Songs lassen sich live nicht umsetzen, deshalb ändern wir sie. Live spielen wir zum Beispiel manche Sachen ruhiger.
Einige Songs haben eine recht komplexe Struktur. Da musstet ihr bestimmt erst herausfinden, wie ihr sie live umsetzen könnt.

Ja, vor dem Album  haben wir viel mit Drum Machines gearbeitet, das war so eine Sache. Aber jetzt einen Drummer zu haben ist toll. Dadurch haben sich uns neue Möglichkeiten erschlossen. Wir können jetzt endlich jammen, so wie ich das mit unserem Bassisten [Zacharias "Zack" Carothers] schon seit der Highschool mache.
Ihr habt beide bei ANATOMY OF A GHOST gespielt, nicht wahr?

Ja genau! Tja, der Keyboarder, der auf dem Album zu hören ist, hat uns kürzlich verlassen und unser neuer Keyboarder und Percussionist [Wes Hubbard] ist der alte Drummer von ANATOMY OF A GHOST.
Als ich das Review zu eurem Album "Waiter: You Vultures!" schrieb, da hatte ich Probleme, genau zu beschreiben, was für Musik ihr eigentlich macht. Alle diese Einflüsse! Indie, Soul, Funk, Progressive Rock und was-auch-immer. Was sagst du denn den Leuten, was für Musik ihr macht?

Das ist immer die härteste Frage für uns, glaub ich. Wie ich schon sagte, gehen wir meist ins Studio, um Songs zu schreiben, und schauen, was dabei herauskommt. Aber neuerdings kommt da eher dieses Rock’n’Roll-Feeling durch. Das ist mehr Old-School, nach dem Motto "Rausgehen und spielen“. Und dann gibt es andere, neuere Sachen, die diesen Soul-Vibe haben. Oder auch Soul-Rock’n’Roll. Was zum abgehen [lacht].
Manchmal ist es einfacher, die Musik nicht zu beschreiben und einfach zu tun, was man möchte, verschiedene Richtungen auszuprobieren und zu sehen, was dabei rauskommt.

Ja, es gibt definitiv einen visuellen Aspekt beim Schreiben, es basiert mehr auf Gedanken als bei anderen Bands, denke ich. Wir werden häufig mit Bands wie THE MARS VOLTA oder THE BLOOD BROTHERS verglichen, aber größer waren da wohl Einflüsse von Bands wie die BEATLES oder LED ZEPPELIN. Ich kann mir schon vorstellen, woher die Vergleiche kommen, denn auch diese Bands haben sicherlich die Klassiker gehört.
Du hörst also eher ältere Musik aus den 60ern und 70ern?

Ja, größtenteils. Zu den neueren Sachen, die ich mag, gehören TV ON THE RADIO und CELEBRATION, eine faszinierende Band, da gibt es eine Menge guter neuer Musik, aber ich bin enger mit der Musik verbunden, mit der ich aufgewachsen bin.
Und wie ist das bei deinen Bandkollegen?

Ich denke, bei den anderen ist es genauso. Alle hören sowas. Jason liebt MARS VOLTA und YES und Progressive Rock insgesamt, aber auch viele Sachen aus den 80ern. Vor allem so ein Zeug halt. Mir fallen nicht viele neuere Sachen ein, die wir alle hören, außer vielleicht Hip Hop, weil das für uns alle leicht zu hören ist.
In deinen Lyrics und auf eurer Website tauchen viele, viele Tiere auf: Elefanten, Leoparden, Geier, Pferde und so weiter. Warum?

Es ist so: ich habe schon immer alle Menschen mit Tieren verbunden. Das verbindet alles, weißt du? Und... ich weiß nicht… es ist besser für mich wenn ich mir ein Bild mache. So wie ein Schauspieler. "Zu sein wie ein Bär" und sowas.
Also Metaphern für Personen?

Yeah!
Tatsächlich existierende oder allgemeiner irgendwelche Gruppen von Leuten?

Manchmal. Kommt drauf an. Meistens mache ich das, um Sachen zu beschreiben. Die Band ist sehr visuell. Und ich glaube, dass ich mich in den Lyrics sehr verlieren kann.
Also schreibst du eher über abstraktere Sachen und nicht konkret zu aktuellen Sachen?

Ich schreibe nicht über den Krieg oder sowas.
Viele Journalisten in Deutschland halten PORTUGAL. THE MAN für recht exotisch, weil ihr aus Alaska kommt. Das ist ein Land, das recht weit von den Gegenden weg ist, von denen man gemeinhin glaubt, dass dort gute Musik gemacht wird. Ist es für dich wichtig, aus Alaska zu kommen und nicht aus Kalifornien oder so?

Ich glaube schon, dass die Band sehr anders sein könnte, wenn wir woanders aufgewachsen wären, tief in einer dieser Musikszenen. California Sound oder Portland Sound. Und.. ich weiß nicht, wir sind jetzt drei Jahre aus unserem Staat fort und leben jetzt in Portland, Oregon. Für die Band und um touren zu können. Aber wir kommen aus Alaska. Ich glaube nicht, dass es momentan woanders besser wäre als da wo wir sind.
Gibt es in Alaska eine eigene regionale Szene?

 [lacht]
Gibt es dort spezielle Einflüsse?

Nicht so sehr, was musikalische Einflüsse betrifft. Aber Alaska im Allgemeinen hat viele Sachen, visuell vor allem. Ich könnte nicht einfach über "Großstadt & Rumhängen" schreiben.
Es geht also mehr um die Landschaft als um die Musik.

Ja. Es gibt gute Musik dort. Da bewegt sich musikalisch einiges, aber die Bands bekommen einfach nicht den Raum, um sich zu entfalten und kriegen nicht so viele Auftritte wie sie bräuchten, weil dort auch Kunst insgesamt nicht so eine große Sache ist. Kunst ist nur… Manchmal bietet sich eine Location, in der man spielen kann, manchmal auch nicht. Tja, manchmal verdient man was mit einem Auftritt, manchmal nicht. Die Musikszene ist dort sehr verstreut.
Als ihr, Du, Zack und Wes, nach Oregon, Portland… ähm… Portland, Oregon [allgemeines Gelächter] gezogen seid… naja, es heißt, ihr wärt eine Zeit lang sehr arm gewesen [John lacht] und hättet viel Geld verdienen müssen, bis ihr ins Studio gehen konntet. Was war das für eine Zeit?

Eine rauhe Zeit, schätze ich. Bevor wir aus Alaska runterkamen, haben wir etwa drei Monate gearbeitet und Geld gespart. Als wir dann in Portland waren, haben wir das ganze Geld zurückgelegt, um irgendwann aufnehmen zu können. Letztlich schliefen wir dann auf Sofas und in irgendwelchen Häusern wo auch immer wir konnten. Diese Phase dauerte fast ein Jahr. Fast ein Jahr lang hingen wir mehr oder weniger nur herum, und als wir so weit waren, das Album zu machen, nahm uns das Label unter Vertrag und bat uns, das Album für sie zu machen. Es ist gut, dass wir das getan haben. Es ist gut, dass wir diese Auf-dem-Boden-schlaf-Erfahrung haben. Aber letztendlich wurden uns die Aufnahmen bezahlt und es wäre im Nachhinein nicht nötig gewesen, das Geld zu sparen!
Dann hat euch das Label also zur richtigen Zeit gesignt, so dass ihr auf einmal mit dem angesparten Geld dastandet und es für euch selbst hattet?

[lacht] Naja, wir haben das Geld dann doch für die Aufnahmen aufgebraucht, um die ganze Ausrüstung zu bekommen, die wir brauchten. Das ist eine Sache die wir nicht hatten, bevor wir das Album machten. Wir hatten nichts von unserer Ausrüstung. Wir hatten Akustik-Gitarren und so.
Und hattet ihr viel Spaß bei den Aufnahmen?

Ja! Casey, der Kerl, der für uns die Aufnahme gemacht hat, ist echt cool. Er war echt gut und hat alles zusammengehalten.
Bist du denn zufrieden mit den Aufnahmen? Was würdest du rückblickend anders machen?

Es gibt immer Sachen, die man anders machen würde. Deswegen versuchen alle Bands mit jeder Aufnahme zu wachsen. Sie schauen zurück und sagen "Oh! Das war nicht so wie es sein sollte." Aber zum größten Teil ist die Platte genau so geworden, wie sie sein sollte. Sie hat die Band zusammengebracht. Jason kam nach der Aufnahme dazu. Und ich glaube, es ist ein wirklich guter Anfang. Es ist gut, diese erste, solide Platte zu haben. Auf der nächsten wird Jason mit dabei sein.
Schreibt ihr schon neue Songs?

Oh ja! Wir haben einen aufgenommen, kurz bevor wir abreisten. Außerdem reiste ich nach Seattle, um Demos für die neue Platte aufzunehmen, einige kurze Stücke. Ja, und wir haben einige Songs, die wir bis zum Jahresende aufnehmen wollen.
Trägst du der Band deine Ideen vor und sagst "Dies würde ich gerne so machen und das so" oder ist es eine gemeinsame Arbeit?

Das ist völlig offen. Ich war nie fähig, auf meinen persönlichen Songs herumzusitzen, ich denke darüber viel zu viel nach. Wenn ich die Songs der Band vorstelle, sage ich "Ok, so ist das mit diesem Song“. Ich tendiere dazu, eine Menge Songs zu schreiben und dann nimmt die ganze Band diese Songs und gibt dazu, was auch immer sie will. Sie sind alle sehr gute Musiker. Das funktioniert sehr gut auf diese Weise, zum Beispiel Zack einfach machen zu lassen, was er will.
Manchmal hast du sicher eine Vision von einem Song, und wenn er dann fertig ist, denkst du "Das ist nicht so wie ich es mit vorgestellt hatte"?

[lacht] Nein, da ist nicht viel dran. Das kommt nicht oft vor. Alle haben dieselbe Vorstellung, wie die Songs sein sollen. Wir sitzen mit der Band herum, und dann heißt es “Dieser Teil ist cool, also lass uns ein zehnminütiges Lied draus machen!" Der Gedanke [dass es nicht meiner Vorstellung entspricht] kommt uns nicht oft in den Sinn. So funktioniert mein Songwriting.
Wann wird es ein neues Album geben?

Hoffentlich vor Ende nächsten Jahres, hoffentlich sogar zu Frühlingsbeginn. Wir versuchen das hinzukriegen.
Ihr seid sehr schnell!

Ich schreibe viel… Alle in einer Band sollten mit etwas herauskommen können, wenn sie so weit sind. Platten sollten veröffentlicht werden, sobald sie geschrieben sind. Man sollte nicht die üblichen Veröffentlichungszyklen warten müssen. Ich möchte nicht zwei Jahre lang etwas zurückhalten müssen. Ich hasse das. Das Warten kommt einem vor wie eine Ewigkeit.
Viel Glück damit!
Als ich eure Platte hörte, dachte ich manchmal "Wow! Was für eine überraschende Wendung! Verrückt!". Seid ihr verrückt?
 [lacht] Ich glaube…
"Chicago" ist ein gutes Beispiel dafür.

Songstrukturen sind Sachen, die ich gerne auf meine Art umsetze. Die Lyrics ändern sich, also sollten sich die Worte und die Gedanken ändern. Das ist mir lieber als [mit eintöniger Stimme:] Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Strophe-Refrain. Sowas langweilt mich schnell. Ich möchte gerne eine Songwriter-Platte machen wie… Weißt du, ich mag die BEATLES, BOB DYLAN, NEIL YOUNG, solche Sachen halt. Ich glaube, es ist gut, mit den Lyrics und jedermanns Gedanken mitzugehen.
Also immer, wenn es einen neuen Gedanken oder eine neue Stimmung gibt, dann soll die Musik organisch dazu passen?

Ja, so wie beim Szenenwechsel in einem Film.
Damit haben wir alle Fragen durch, bis auf eine etwas spezielle: Wenn du deine Lebenssituation und die deiner Bandkollegen beschreiben sollst, kannst du das mit einem Songtitel machen?

Oh! Wie meinst du das? [lacht]
Wenn du zum Beispiel große Angst hast, vor der Zukunft oder so, dann könntest du mit "Paranoid" antworten, weil es einen Song mit diesem Titel gibt.

Gewaltige Frage! Gute Frage! …Ein Song… ein Song… [grübelt grinsend]
So ist das, wenn man spontan sein muss…

Ja… [grübelt fröhlich vor sich hin]
[lachend] Wir haben Zeit, aber du musst dich beeilen! [Der Rest der Band wartet bereits auf John's Soundcheck]

Ich persönlich würde einen RAGE AGAINST THE MACHINE –Song wählen angesichts der Dinge, die momentan in der Welt vor sich gehen. Aber ich kann jetzt keinen speziellen nennen. Jeder RAGE AGAINST THE MACHINE –Song. Sie sind ein Grund, warum ich mit Musik angefangen habe. Bei ihnen gab es immer diesen Gedanken an Fortschritt und Wandel.
Vielen Dank für das Interview!