Geht es um deutschen Thrash Metal, werden TANKARD immer als Nummer vier genannt, nach SODOM, DESTRUCTION und KREATOR. So teilen sie das Schicksal von ANTHRAX, die zwar auch Teil der US-Big-Four sein dürfen – aber auf den Stufen des vermeintlichen Siegertreppchens stehen andere. Vielleicht liegt es daran, dass sie immer sehr anders klangen als METALLICA, SLAYER und MEGADETH. So wie TANKARD, die von Anfang an einen eigenen Sound hatten.
Bei den Frankfurter Jungs ging es nie um finsteren First-Wave-Of-Black-Metal, frickelig-kompliziertes Riffing oder wer die längsten Nieten an der Kutte hat. Die Formel war von Anfang an ehrlich und einfach: Die Geschwindigkeit des Speed Metal paarten TANKARD mit einfachen Riffs und Gangshouts, dazu kam Gerres Gesang – er keift nicht, er grunzt nicht, er etabliert eher ein rhythmisches Grölen (erst später tauchen Melodien auf).
Dass TANKARD selbst ihren Sound als Thrash-Punk umschreiben, passt. Die Einflüsse aus Punk, Hardcore und MOTÖRHEAD-beeinflusstem Rock n Roll hört man deutlich. Der Hang zu Kneipenlyrik und eine insgesamt lockere, teils fröhliche Grundstimmung rundet das Gesamtbild ab. Wer fleißig liest, findet am Ende des Artikels eine Spotify-Playlist, die die metalfremden Einflüsse TANKARDs abbildet – schreibt gerne in die Kommentare, was Ihr davon haltet!
Das Debüt: “Zombie Attack”
“Zombie Attack” von 1986 – vier Jahre nach Bandgründung – ist ein typisches Metal-Debüt der 80er Jahre: ungestüm, unbeschwert und unperfekt. TANKARD zeigen hier bereits Trademarks, die sie im Laufe ihrer Karriere selten aus den Augen verlieren werden: Die Geschwindigkeit, der man den Einfluss der Vorreiter aus Übersee anhört, aber auch das ungewöhnlich lässig fließende, punkig-einfache Riffing.
Und natürlich der asoziale Humor: Den Text der Saufhymne “Alcohol”, den Gerre in akzentbeladenem Englisch vorträgt, hätten auch TOXOPLASMA schreiben können. Dennoch zeigen TANKARD auf “Zombie Attack” schon gutes Songwriting und die ersten Hymnen: Den Titeltrack und “(Empty) Tankard” spielen sie immer noch live.
Der erste Klassiker: “Chemical Invasion”
Das zweite Album beginnt mit Trinkgeräuschen und einem Rülpser, danach folgt der bisherige Geschwindigkeitsrekord “Total Addiction” – TANKARD sind zurück. Auf “Chemical Invasion” von 1987 steht ultraschnelles und brutales Zeug mit guten Metal-Soli, allein der Song “Tantrum” klatscht Hörer:innen knallhart an die Wand. Die Band will es wissen, tritt das Gaspedal weiter durch, ist härter geworden und hat offenbar nicht nur gesoffen, sondern auch geübt.
“Don’t Panic” und der Titeltrack glänzen mit Riffs, die bei aller Geschwindigkeit noch Rock n Roll ausstrahlen. Mit “Alcohol” von GANG GREEN (Original siehe unten) starten TANKARD die mal mehr, mal weniger schöne Tradition, ihre Alben mit obskuren Coversongs anzureichern. Auch daran kann man erkennen, dass die Thrash-Band sicher nicht nur SLAYER gehört hat, sondern auch genrefremde Einflüsse kennt.
Mit dem siebeneinhalb Minuten langen Instrumental “For A Thousand Beers” und dem fast achtminütigen “Traitor” wagen TANKARD gelungene Ausflüge in komplexeres Songwriting, die sie in ihrer weiteren Karriere aber nur punktuell wieder aufgreifen werden.
Der zweite Klassiker: “The Morning After”
Wieder vergeht nur ein Jahr, bis TANKARD nachlegen: “The Morning After” ziert das großartige, ikonische Artwork des verkaterten Metalheads im A.O.K.-Shirt und knüpft nahtlos an den Vorgänger an. Noch ne Ecke härter – und wo es nicht schneller geht, bringt Gerre mit seinen gebellten Vocals noch eine Spur mehr Hektik in die Songs, man höre nur die Abrissbirne “TV Hero”.
Die Gitarren shredden deutlich mehr als früher, was den Rock-n-Roll-Faktor etwas verdrängt. Aber mit “F.U.N.” wiederum gibt es einen Song, den andere Thrasher sicher nicht geschrieben hätten – zu positiv, sogar mit Cowbell. Das Coverstück ist diesmal von der Hardcore-Punk-Band SPERMBIRDS, hier das Original:
Das Zwischenspiel mit Hit: “Alien”
Die Zeit zum nächsten Album überbrücken TANKARD 1989 mit der EP “Alien”. Die vier neuen Songs knüpfen nahtlos an den Sound der beiden Vorgänger-Alben an. Vor allem der Titeltrack verdichtet die TANKARD-Trademarks zu einem echten Hit – das Mainriff erinnert stark an den Rock n Roll-Vibe von “Chemical Invasion”, Gerres Geschrei und Gangshouts setzen schöne Hooks. Zusätzlich gibt es eine Neuauflage von “(Empty) Tankard”. In der Neuauflage ist “Alien” als Bonusmaterial in “The Morning After” enthalten.
Die Kurskorrektur: “The Meaning Of Life”
"Alien" überbrückt die diesmal zwei Jahre bis zum nächsten Album: 1990 veröffentlichen TANKARD “The Meaning Of Life”. Unverkennbar noch TANKARD, zeigen sich auf Album Nummer vier doch deutliche Korrekturen am bisherigen Sound: Die Thrasher thrashen deutlich mehr. Die Songs sind insgesamt ernster und von mehr Breaks durchzogen, wirken dadurch komplexer.
Gerre gibt sich Mühe, aggressiver zu klingen – und doch gibt es auch auf “The Meaning Of Life” die üblichen Bierhuldigungen und Quatsch-Inhalte wie “Beermuda” und “Space Beer”. Letzteres ist der einzige echte Stimmungsaufheller auf einem Album, das ziemlich aus einem Guss klingt. Vielleicht haben TANKARD auf ein punkiges Coverstück verzichtet, um genau diesen Effekt nicht zu gefährden.
Der erste Hänger: “Stone Cold Sober”
1992 befindet sich die Metal-Welt schon in der Krise. Gewisse Bands aus Seattle setzen jetzt die Maßstäbe für harte Musik, Testosteron-Geballer will so langsam keiner mehr hören. In dieser Phase veröffentlichen TANKARD ihr fünftes Album “Stone Cold Sober” und halten unbeirrt an ihrem Weg fest. Letztlich prügeln sie hier genauso kompromisslos drauflos wie schon auf “The Meaning Of Life”.
Eine merkliche Entwicklung hört man bei Gerres Performance: Auf diesem Album kann man erstmals von Gesang sprechen. Seine Melodien, mit denen er das übliche Geschrei auflockert, zünden allerdings noch nicht besonders – da ist noch Luft nach oben. Mit “Centerfold” von der J. GEILS BAND zerhacken TANKARD ihr Album noch dazu mit einem völlig verzichtbaren Coversong.
Insgesamt ist “Stone Cold Sober” ein unauffälliges Album, dem eine klare Linie fehlt. Die Saufhymne “Freibier” ist zwar eine Art Hit, macht den Gesamteindruck aber nicht besser.
Der Lichtblick: “Two-Faced”
Ich muss direkt offenlegen: Zu “Two-Faced” habe ich eine besondere Beziehung. Es war nicht nur mein erstes TANKARD-Album, sondern eines der ersten Thrash-Alben überhaupt, die ich gehört habe. Der Opener “Death Penalty” hat mich 1993 komplett umgeblasen. Aber auch mit objektiverem Blick hat dieser Song alles, was ein Thrash-Hit braucht: stürmische Geschwindigkeit, zündende Riffs und Hooks und einen Sänger, der den Spagat zwischen Gebrüll und Gesang wunderbar meistert.
Ja, TANKARD sind back on track: Die Komplexität fahren sie ein bisschen zurück und setzen vor allem auf Hochgeschwindigkeitsmaterial. Gerre kann das, was er auf “Stone Cold Sober” versucht hat, jetzt umsetzen und gibt seinen aggressiven Vocals Melodien mit, die im Ohr bleiben.
“Two-Faced” ist auch wegen zwei besonderer Songs interessant: Zum einen “Ich brauch meinen Suff” der deutschen Protopunks STRASSENJUNGS. Songs wie dieser würden heute eine Triggerwarnung wegen Sexismus bekommen – absoluter Cringe-Alarm! Die Wahl, ausgerechnet dieses Stück wiederzubeleben, zeigt aber wieder einmal den seltsamen Geschmack und die bunten Einflüsse TANKARDs. Wer checken will, ob der Scheiß ironisch gemeint sein soll, kann unten das Original studieren.
Zum anderen steht auf “Two-Faced” die erste (Halb-)Ballade in der Karriere TANKARDs: “Days Of The Gun” ist großartig geschrieben und gesungen und klingt ungewöhnlich erwachsen. Wer weiß – in einer anderen Zeit oder mit mehr Glück hätte das vielleicht das Frankfurter “Nothing Else Matters” werden können.
Die Spaßkapelle: TANKWART - “Aufgetankt”
1994 erscheint die erste von zwei EPs unter dem Banner TANKWART: Hier können TANKARD von allen Zwängen fliehen und sich mit ihren geliebten Coversongs so richtig austoben. “Aufgetankt” enthält tankardisierte Versionen von NDW-, Deutschpunk- und Deutschrock-Stücken. Mit “Billiger Slogan” ist noch ein eigener Song dabei, ein astrein gelungener Deutschpunk-Song gegen verlogene Drogenpolitik. “Aufgetankt” ist in der Neuauflage von “The Tankard” mit dabei.
Die Anbiederung an den Zeitgeist: “The Tankard”
Viele Metal-Bands hatten in den 90ern schwerwiegende Identitätsprobleme. Erst Grunge, dann Nu Metal – wo steht man, wenn Lederhosen und Kutten plötzlich uncool geworden sind? Nicht wenige beugten sich dem Zeitgeist und versuchten, Groovemetal und Rap in ihren Sound zu integrieren. 1995 werden auch TANKARD nervös und lassen Elemente zu, die man so noch nicht bei ihnen gehört hat.
“The Story Of Mr. Cruel” zum Beispiel beginnt funky, RAGE AGAINST THE MACHINE lassen grüßen. “Poshor Golovar” versucht sich an groovigem Riffing. Vor allem hört man auf “The Tankard” aber Singalong-Refrains mit Harmoniegesang – ein interessantes Element im TANKARD-Sound, das gerade bei den ersten Songs sogar funktioniert.
Spätestens beim völlig vergeigten “Mess In The West” ist aber Schluss – der witzig gemeinte Country-Refrain ist unzumutbar. Mit “Atomic Twilight” haben TANKARD wohl versucht, an “Days Of The Gun” anzuknüpfen, leider vergeblich. Auch wenn einige Grooves und Hooks funktionieren, hört man der Band an, dass sie ihren Platz in der Musikwelt gesucht hat – mit “The Tankard” haben die Jungs sich jedoch so weit von ihrer DNA entfernt wie nie.
Das Live-Dokument: “Fat, Ugly And Live”
“Fat, Ugly And Live” war das erste Livealbum TANKARDs, das sie 1990 (zwischen “The Meaning Of Life” und “Stone Cold Sober”) veröffentlichten. Der Sound der Show ist immer noch Bombe, die speedigen, punkigen Granaten ballern genauso wie die schweren Thrasher.
Die DVD in diesem Boxset enthält neben “Fat, Ugly And Live” einen weiteren Audio-Konzertmitschnitt von 1988 und den Konzertfilm “Open All Night”, der 1990 in Ostberlin aufgenommen wurde. Als besonderes Zuckerle gibt es ein bislang unveröffentlichtes Video eines Auftritts in Eindhoven 1987. Damals waren alle noch schlank und es gab einen Typen, der nur dafür zuständig war, Stagediver zurück in die Menge zu stoßen – good old days. Die Tonqualität ist naturgemäß nicht doll, das Ding ist aber unbedingt sehenswert.
Fazit: Lohnt sich “For A Thousand Beers”?
Wer heiß auf Zeug aus den Archiven ist, sollte sich “For A Thousand Beers” genau anschauen. Denn viel Neues gibt es nicht: Die Alben kommen in bereits bekannten Versionen – kein neues Remaster, kein neues Bonusmaterial. Hinzu kommt, dass die Livesongs, die die einzelnen Studioalben ergänzen, überwiegend dem 1990er-Gig entnommen wurden, der auch auf der DVD enthalten ist. Das einzig Neue ist der Mitschnitt des Eindhoven-Konzerts.
Anders sieht es für Vinylfans aus. Die LP-Box bietet die sieben Alben in schicken Splatter-Versionen und enthält ein Buch mit exklusiv ausgegrabenen Fotos und Notes. Der Karton selbst ist im Stil einer Palette Dosenbier gestaltet. Insgesamt eine hübsche Ergänzung für den Plattenschrank – vor allem, weil die Artworks gut zur Geltung kommen, die der Künstler Sebastian Krüger für alle Alben von “Chemical Invasion” bis “Two-Faced” gestaltet hat.
Im CD-Format (Klappbox mit CDs in Steckhüllen) hingegen wirkt die Verpackung leider nicht so großartig. Aber wer den Backkatalog von TANKARD noch nicht zu Hause hat, hat damit die Möglichkeit, platzsparend zu komplettieren.
Hier die oben versprochene Spotify-Playlist mit Songs, die die bunten Einflüsse von Tankard widerspiegeln: