Unser Konzertbesuch begann eigentlich am Bahnhof. Um Klogeld zu wechseln, bin ich zum Bahnhofskiosk gegangen, wo ich TOUCHÉ AMORÉs Sänger Jeremy Bolm vor mir in der Schlange sichten konnte. Aus Gewohnheit begab ich mich – pünktlich zum Einlass um 19 Uhr– zum clubCANN, in der festen Überzeugung, eine große Fangemeinde vorzufinden. Stattdessen erwartete uns dort nochmals der verwirrte Jeremy, der selbst den Eingang nicht finden konnte und ein paar einzelne Hardcore-Menschen, wie man sie in jedem Impericon-Katalog finden kann.
Wohnzimmer-Konzert
Einlass begann etwas verspätet erst um 19:10, ich hätte aber eigentlich auch erst um 20 Uhr dort antanzen können, denn es war noch kaum jemand da. Während sich die meisten noch an der Bar tummelten, begab ich mich bereits in die komplett leere Halle. Der Konzertraum ist nicht viel größer als eine Studentenwohnung, aber deutlich sauberer. Wie sich später herausstellen sollte, erwies sich dies als Vorteil, da eine sehr familiäre Atmosphäre herrschte und die Nähe zu den Bands verstärkt wurde.
SWAIN heizt die Menge ein
Ebenfalls verspätet betrat dann schließlich die Vorband SWAIN die Bühne, eine optisch sehr interessante Zusammenstellung. Die Ersatzbassistin, die mich an Mia Wallace aus "Pulp Fiction" erinnerte, hatte eine sehr coole Ausstrahlung und schien ganz in ihrem Element zu sein. Auch Sänger Noam Cohen, der alternative Hippie-Jesus, „tanzte“ wie wild auf der Bühne, sodass im Eifer des Gefechts das Mikrofon in den Zuschauerraum fiel.
Während das Publikum zu Beginn zwar etwas verhalten war, wirkte gegen Ende des ersten halbstündigen Acts schließlich der Alkohol und aus vereinzeltem Kopfnicken wurde Moshen. Noam erzählte, dass er um 7:30 Uhr aufstehen und seine Wohnung verlassen musste. Dass ihm das irgendwie egal war, weil er ja jetzt auf Tour ist, machte ihn umso sympathischer.
Der Stimmung verpasste die ebenfalls halbstündige Umbauzeit, in der nicht mal etwas umgebaut werden musste, einen Dämpfer. Versüßt wurde die lange Wartezeit durch scheinbar willkürlich ausgewählte Musik, die von Country, über Michael Jackson-Pop bis hin zu THE TEMPTATIONS (mit dem Song aus der Kinderriegelwerbung) reichte und an Spotify-Shuffle erinnerte.
TOUCHÉ AMORÉ – ein Auftritt mit Biss
Um 21 Uhr wurde TOUCHÉ AMORÉ lautstark von den Hipstern begrüßt. Ohne viele Worte zu verlieren, begann die Band mit dem ersten Track „Flowers And You“ ihres neuesten Albums „Stage Four“. Kaum wurden die ersten Töne gespielt, war die Stimmung bombastisch. Das Zentrum des Moshpits bildete eine etwas ältere Dame mit Wendy-Pferde-Rucksack, die ihre skurrilen Tanzbewegungen zum Besten gab. Die Lieder gingen fast nahtlos ineinander über, die Band machte kaum Pause. Zudem wurde auch „Posing Holy“ das erste Mal live gespielt.
Der Raum war tatsächlich nur zu drei Vierteln gefüllt, was aber bei der Begeisterung der Fans kaum eine große Rolle spielte – außer bei den kläglichen Versuchen einiger Fans, die auf die Bühne kletterten und stagediven wollten und prompt auf den Boden fielen, weil niemand sie wirklich auffing. Dennoch haben sie sich davon nicht abhalten lassen und versuchten es immer wieder. Tatsächlich ging es in der „ersten Reihe“ so wild zu, dass Jeremy bei dem Song „Just Exist“ von einem übereifrigen Fan in den Finger gebissen wurde, was ihm – wie er selbst behauptete – in seiner zehnjährigen Laufbahn als Musiker noch nicht passiert ist. Jeremy schien das jedoch nichts auszumachen und umarmte den Fan, mit dem er nun einen „special moment“ teilte.
Nach „Honest Sleep“ verschwand die Band von der Bühne, nur um nach lauten Zugabe-Rufen den letzten Song „History Reshits Itself“ zu spielen, den sich ein Zuschauer gewünscht hatte.
Ein Nachteil an der Musik von TOUCHÉ AMORÉ sind die sehr kurzen Lieder, die meist bereits zu Ende sind, wenn man sich gerade erst hineingefühlt hat. Deshalb und aufgrund der einen Vorband war das Konzert recht kurz. Dennoch fanden andere Anwesende das Konzert „richtig geil“ – also insgesamt ein sehr gelungener Abend.
Setlist TOUCHÉ AMORÉ:
Flowers And You
Tilde
New Halloween
The Great Repetition
Art Official
Displacement
And Now It’s Happening in Mine / Space Jam
DNA
Amends
Benediction
Palm Dreams
Home Away From Here
Posing Holy
Harbor
Rapture
Just Exist
Pathfinder
Method Act
Honest Sleep
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History Reshits Itself