Wie viele Künstler, die häufig und lange auf Tour sind, spielt auch HELGE SCHNEIDER mit falschen Horrormeldungen von wegen „letzte Tour" und „Helge hört auf!", wenn auch etwas subtiler. Bei HELGE heißt es: Achtung, letzte Tour, bevor die nächste Tour startet. Die Tradition der Weihnachstkonzerte in seiner Heimatstadt wurde 2011 gebrochen, aber wie sich Organisatorin Claudia Saerbeck so treffend äußerte: "Weihnachten ohne Helge geht einfach nicht!", und deshalb gab es 2012 wieder drei Tage hintereinander Helge, die kreative Koryphäe, in der Stadthalle Mülheim. Als Fan heißt es dann: Jazz oder nie, nix wie ab nach Mülheim.
Wer noch nie in Mülheim an der Ruhr war und einen Besuch dort plant, dem sei gesagt: Mülheim ist das deutsche San Francisco und nicht umsonst wurde Helge Schneider als Schulschwänzer mal rückwirkend eine Krankmeldung mit dem Grund „Wandertrieb" ausgestellt. Wandern kann man in Mülheim wahrlich gut. Urplötzlich steht man vor einem wahren Berg von Straße und noch dazu zeigt die Wetterapp eine Warnung vor Dauerregen. So schwimmen wir also, total fehlgeleitet vom Handy, bergauf Richtung Hotel.
Die Stadthalle in Mülheim ist ein piekfeiner Schuppen mit perfekter Organisation. Die vielen Leute wirkten wie ein kleines Grüppchen, es gab günstiges aber hochwertiges Essen (Antipasti bei Helge Schneider!), die Getränkeausgaben liefen problemlos und es gab auch keine Schlange an den Toiletten. Aus der Phase der verrauchten, kleinen und intimen Jazzkneipen ist Helge Schneider schon lange raus, auch wenn er immer mal wieder Ausnahmen macht und im kleinen Rahmen spielt. Wir Helge Fans sind schon jahrelang untereinander sehr gut vernetzt und so erreichte mich eine Nachricht von einem Gleichgesinnten, der schon einen Tag vorher in Mülheim beim ersten der drei Konzerte war: „Helge spielt nur Jazz, keine eigenen Stücke!".
Der durchschnittliche Helge Schneider Fan wäre jetzt geschockt gewesen, eventuell sogar verärgert wieder abgereist. Wer Helge Schneider aber schon öfter mal gesehen hat und auch seine musikalischen Fähigkeiten zu schätzen weiß, der wäre ähnlich begeistert wie ich und kann gar nicht genug Facetten von ihm kennenlernen. Zumal Helge Schneider sich immer mit hochkarätigen, international anerkannten Künstlern umgibt. Momentan spielt er mit dem aktuellen Bassisten von STING, Ira Coleman, Willy Ketzer am Schlagzeug (hat unter anderem schon mit TOM JONES gearbeitet) und Scott Hamilton, einer lebenden (Tenor-)Saxophonlegende aus Amerika.
Als Helge Schneider und seine Band, die momentan unter dem Namen „Die zerrissenen Fräcke" musizieren, auf die Bühne kam, brach tosender Applaus los in der Stadthalle. Erfreut aber unbeeindruckt gingen alle Vier sofort an die Instrumente und spielten ein langes, sehr gutes Jazzstück. Da ich am Anfang an der Seite stand, konnte ich Helge Schneider gut beobachten und sehen, dass er sichtlich Freude daran hatte und fast komplett in die Musik vertieft schien. Die Bühne der Stadthalle ist nicht riesig, aber es fiel doch auf, dass Helge, Willy, Ira und Scott sehr eng zusammenstanden und nur einen verhältnismäßig kleinen Raum der Bühne einnahmen, welche wiederum sehr spärlich beleuchtet war.
Im Vergleich zum Vortag, an dem Helge tatsächlich ausschließlich Jazz gespielt haben soll, kamen zwischen den Stücken doch die gewohnt lustigen Ansagen. Traditionell gab es die Helge Schneider Bandvorstellung: Ira Coleman, geboren in Schweden (stimmt wirklich), die leider aber schon einen Tag später ausgewiesen wurde (stimmt wahrscheinlich auch...). Scott Hamiliton, kommt aus Italien, also aus New York aus dem Stadtbezirk Little Italy und Willy Ketzer, irgendwo im Hunsrück aufgegabelt - was willste da erwarten, von so 'nem Typ?
Über den Abend verteilt gab es eine Art Jahresrückblick á la Helge Schneider. Der verpatzte Weltuntergang (laut Aussage von Helge vorhergesagt von Karl May, oder war es doch Biene Maja?) ist natürlich ein gefundenes Fressen für jeden, der lustig sein will. Eventuell sei ja doch die Welt untergegangen, wir haben es nur nicht gemerkt und leben in einer Art Parallelwelt. Aber wenn selbst Merkel das nicht gemerkt hat, und das bei dem Namen, dann kann das eigentlich nicht sein. Auch über andere Musikkünstler machte sich Helge Gedanken. Tina Turner sei ja gestorben, ach ne das war ja doch Johannes Heester, Helge verwechselt die beiden immer und lieferte prompt den Grund, indem er eine Heesters Version von „Private Dancer" lieferte. Stimmt, verblüffende Ähnlichkeit...
Den Heesters nimmt sich Helge seit Jahren immer mal wieder vor. Ich könnte mir vorstellen, dass Helge, der ja schon als Kind Opa sein wollte, fasziniert davon ist, wie lange man leben und noch dazu auf der Bühne stehen kann. Auch Madonna könnte langsam mal aufhören, „der Typ ist eh zu alt".
In der Politik war Helge auch schon mal, allerdings als Oskar Lafontaine. Und auch dem Gysi gab er kürzlich während der Aufzeichnung der Kurt Krömer Show Tipps, wie er aufstiegstechnisch am besten vorankommen könnte. Einfach ein Kleid, hochhackige Schuhe, schön schminken und dann mal versuchen, beim aktuellen Kanzler anzubändeln.
Helge machte, was zu erwarten war, auch ziemlich viele regionale Anspielungen, über die sich die Mülheimer ordentlich wegwarfen. Über den Kaufhof zum Beispiel, der wohl sehr lange leer stand und nun wieder belegt wurde. Dazu ein Zitat aus einem Interview zum Thema mit Helge Schneider in der WAZ im Jahr 2011 - seine Antwort auf die Frage „Hätten Sie eine Idee für den Kaufhof?" lautete „Ja, Kaufhof". Verständlich, dass es einen als Einheimischen fuchst, denn die Innenstadt in Mülheim ist tatsächlich seltsam. Man fühlt sich ungefähr fünfzehn Jahre zurückversetzt und wandert durch eine Mischung aus übertriebener Moderne und dem verzweifelten Versuch, die gute alte Zeit festzuhalten.
Auch Weihnachten kam nicht zu kurz und Helge verriet, dass er immer kurz vor Ladenschluss zum Weihnachtseinkauf aufbricht. So hat er eine Ausrede dafür, keine Geschenke zu haben: „Laden war schon zu". Noch dazu sang er für uns seine Version von „White Christmas". Der spezielle englische Helge Schneider Text war zum Brüllen, zumal er dann auch noch andere typische Weihnachtsgassenhauer wie „Let It Snow" oder „Oh Tannenbaum" einfließen ließ.
Auch den New York Marathon wäre Helge gerne gelaufen, leider hat er aber die Anmeldung zu spät ausgefüllt (Verdammt!) und eigentlich hatte er dann doch "keinen Bock gehabt, so weit zu rennen". Außerdem kann man Marathon ja auch zu Hause laufen, wenn man unbedingt will.
Es gab tatsächlich keinen Helge Schneider Song, dafür aber einen Thelonious Monk, nämlich das wunderschöne „All The Things You Are". Man hört deutlich, dass The Monk ein Künstler ist, der Helge stark beeinflusst. Das Klavier und ganz besonders den monk'schen Style beherrscht Helge Schneider nämlich einwandfrei. Desweitern gab es Klassiker wie „Take The A Train" (auch ohne Bläserorchester gut) und „Misty". Sonst gibt es von Helge eher „Sunny", „The Girl From Ipanema" oder die milliardste Version von „Mood Indigo", schön dass mal was anderes gewählt wurde. Man konnte sich komplett in der Musik verlieren und auch ohne Tanzen einfach nur im Sitzen alles um sich herum vergessen.
Musikalisch war der Abend unschlagbar und ich habe Helge schon lange nicht mehr so leidenschaftlich und ambitioniert spielen hören. Willy Ketzer ist eher so von der Marke Player, „sehen und gesehen werden" scheint sein Motto zu sein, aber auch er war an diesem Abend top und auf den Punkt. Ira Coleman merkt man die Professionalität an, oft sah man ihn sein Instrument stimmen und Musik scheint er eher nach Schema (wenn auch sehr gut) als mit Herzblut zu spielen. Besonders das Duell der Saxophone zwischen Helge und Scott war der Hammer, und natürlich war deutlich hören, dass das Ausnahmetalent Schneider dem über alle Maßen erhabenen Scott deutlich unterlegen war. Wie der Typ die Töne runterbuttert, ist unglaublich.
Bleibt noch zu erwähnen, dass die Sitze in der Mülheimer Stadthalle überraschend gemütlich sind und man sich bequem durch den Abend fläzen konnte. Helge Schneider hat mal wieder gezeigt, was für ein toller Musiker er ist und ich hoffe, die sackhohle Frage „Herr Schneider, ärgert es Sie, dass Sie nicht als vollwertiger Jazzmusiker anerkannt werden?" verstummt jetzt endlich mal.
Ein Helge Schneider Konzert ist immer eine Reise wert, beinahe hätte ich mein nächstes Konzert nicht erlebt. Am Bahnhof in Mülheim gibt es einen McDonalds, der mitten im Bahnhof (Ambiente ist alles, das Auge isst mit!) einen Sitzbereich hat, der wiederum aussieht wie die Kombination von Plastikbank und Plastiktisch, den man Kleinkinder beim Grillfest in den Garten stellt, damit sie beim Essen nicht stören und auch was zum Sitzen haben. Noch dazu lief - über die schlechteste Anlage, die ich je in meinem Leben gehört habe - der Song „Drummerboy" von Justin Bieber (später recherchiert, war ganz leicht...). Nach einem musikalisch so hochkarätigen Abend hat mich diese skurrile Situation - grottige Musik, erwachsene Leute sitzen vom Leben deprimiert an übergroßen Kindertischen und fressen dazu Pappburger, die ihnen mehr schaden als nutzen - so zum Lachen gebracht, dass ich beinahe im Mülheimer Bahnhof zusammengebrochen bin und mir die Tränen für mindestens fünf Minuten in Strömen die Backen runterliefen. Das kann wohl nur ein Helge Schneider Fan nachvollziehen... köstlich.
Allen Interessierten sei noch gesagt, dass am 05.01.2013 die zweite Ausgabe von „Helge hat Zeit" im WDR laufen wird. Zitat Helge: „Na gut, ich mach weiter! Ich sehe mich selbst zwar als schlechtesten Showmaster aller Zeiten, werde aber mein Bestes geben. Schließlich muss es ja jemanden geben, der die Leute in den Schlaf bringt, also macht es Euch schon mal gemütlich". Mach ich!
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