Geschrieben von Sonntag, 15 Juli 2012 14:46

Quo vadis, Punk?

punks

Nach dem letzten Output von DIE ÄRZTE habe ich mich ausführlich mit der Frage vom Opener „Ist Das Noch Punkrock?“ beschäftigt. Die Frage von Farin kann ich (ganz leicht?) mit der Gegenfrage beantworten: „War das jemals Punk Rock?“ Wenn ich in diversen Foren lese, „Frankfurt gestern war super, war mein erstes Punk Rock Konzert“, dann wundert mich das sehr. Sind Konzerte mit 35.000 Besuchern doch eigentlich grundsätzlich keine Punkkonzerte, oder?


Das würde aber bedeuten, dass Punk nicht erfolgreich sein darf und immer in Jugenzentren oder kleinen Hallen stattfinden muss. In letzter Zeit versuche ich möglichst viele als "Punk" kategorisierte Platten aus dem Redaktionspool abzugreifen, um auf die Frage „Quo vadis, Punk?“ eine Antwort zu finden. Wenn ich mir die Frage „Was ist eigentlich Punk?“ auch noch beantworten könnte, dann umso besser.

Anfang der Neunziger hatte ich meinen Einstieg in Punk. Die Konzerte fanden zum größten Teil im Haus der Jugend statt und bei neun von zehn dieser kleinen Bands kenne ich gar nicht den Namen, der mich damals aber auch herzlich wenig interessiert hat. Die Größten waren damals für mich THE EXPLOITED, RANCID, TOY DOLLS, NOFX und SLIME bzw. EMILS.

Für mich hatte diese Musikrichtung folgende Eckpfeiler: Saufen, Rebellion, "gegen Nazis" und Vier-Akkorde-Pogo-Takt. Jetzt ist es leider so, dass man im besten Fall nicht alle diese Attribute ins Erwachsenwerden rüberretten kann/sollte. "Gegen Nazis" ist weiterhin wichtig, allerdings reicht es nicht, Lieder wie „Nazis Auf’s Maul“ oder „Schrei Nach Liebe“ nachzuquaken, sondern man sollte, wenn möglich, auch den Hintergrund verstehen und die Meinung verinnerlichen bzw. wirklich und authentisch vertreten.

Rebellion ist weiterhin wichtig, wird aber mit dem Erwachsenwerden leiser, subtiler und stetig fokussierter auf wirklich wesentliche Probleme, soweit einem die Arbeit (ein weiteres Übel des Erwachsenseins) Zeit lässt, sich gedanklich und letztendlich auch tätlich damit zu befassen.

Saufen findet – wenn überhaupt und im besten Fall – eher selten statt, und da das normale Gehirn ungern nächtelang im Kopf Karussell fährt und Kotzen mit 30 nicht mehr so „cool“ ist wie mit 18, kann der Punkt also auch gestrichen werden. Bleibt also noch der 4-Akkorde-Pogo-Takt (wahrscheinlich resultierend aus den Folgen des Saufens), über den ein ambitionierter Musiker im besten Fall hinauskommen will. Ein deftiges Solo oder eine etwas anspruchsvollere Melodie strebt man früher oder später an. Scheiße! Das würde bedeuten, dass man irgendwann zwangsläufig kein Punk mehr sein kann!

Wenn ich mir die Punk Sparten von heute angucke, hat sich Einiges getan. Wir hätten zum Beispiel den umgangssprachlichen Studenten Punk, im Fachjargon gerne Post Punk genannt. Beste Interpretation zum Thema Post Punk kam in einem Interview von LOVE A Sänger Jörkk: "Mein Vater war 40 Jahre lang bei der (damals noch) Deutschen Bundespost beschäftigt. Wenn das „Post" auch bei uns irgendwann dafür stehen sollte, dass wir 60 Tage Urlaub im Jahr haben, uns im Tagesgeschäft nicht müde machen und ein 13. Monatsgehalt überwiesen bekommen, dann stimme ich dir gerne zu.“

War natürlich ein Scherz von ihm, trifft aber den verzweifelten Versuch, Punk irgendeine neue Richtung zu weisen, aber sehr treffend. Gemeint war eigentlich die Tatsache, dass Punk irgendwie immer weinerlicher und verzweifelter wird. Die Gesellschaftsklagen haben sich verändert. SLIMEs „Legal, Illegal, Scheißegal“ war noch zackig und auf den Punkt, die Songs wurden launig vorgetragen, der Arschtritt für die Gesellschaft war vorhanden, hatte aber immer den Schwung von „Euer Scheiß gefällt uns nicht, wir machen unseren eigenen Kram!“. Bands wie TURBOSTAAT, LOVE A oder FRAU POTZ suggerieren schon eine gewisse Enttäuschung, halten zwar den Spiegel vor, klingen aber eigentlich eher resigniert.

Solche Bands begeistern mich, wirken aber auch auf eine gewisse Art und Weise demotivierend. Eine Textzeile von PASCOW trifft es ganz genau "...und der Hit, den sie jetzt schreiben, geht auch morgen nicht on air, wird nur für mich und ein paar andere Spinner sein..." ("The Strongest Of The Strange" aus dem Album "Alles Muss Kaputt Sein"). Zu wissen, dass die eigene Erkenntnis nicht wirklich was nützt, wenn man damit in der Unterzahl und im schlimmsten Fall alleine ist, ist nicht besonders berauschend.

Ganz anders sind da GOGOL BORDELLO, die Gegenwaffe gegen deprimierende Gesellschaftskritik, welche dem Gypsy Punk zugeordnet werden. Diese Band ist ohne Pause auf Welttournee, von faul kann nicht nicht Rede sein. Dafür bedienen sie den Punkt Saufen ganz gut – jeder der schon mal da war weiß, dass der Sänger keine Wasserflasche ansetzt. Texte wie "60 revolutions per minute, this is my regular speed, so how do you want me to live with it?" sind eher die Ausnahme, so richtig tiefschürfend sind die Lyrics von GOGOL BORDELLO meistens nicht. Für den Fan bedeutet das auf CD-Länge oder auch für einen Konzertabend mal so richtig die Sau rauslassen zu können. Für die Band bedeutet es wohl ein schönes Leben mit Musik, Tour und Saufen. Könnte das Punk sein?

Es gibt aber auch noch einige Urgesteine, die dem sogenannten Assi Punk zugeordnet werden, DIE KASSIERER zum Beispiel. „Der Meister Aller Fotzen“ oder „Das Schlimmste Ist, Wenn Das Bier Alle Ist“ lassen einen dezent beschämt, aber auch gleichzeitig amüsiert zurück. Weniger gehaltvoll aber zumindest stimmungshebend, bis der Kater am Morgen danach kommt und die Erkenntnis, dass man Wöllig gestern nackt gesehen hat. Wobei ich den KASSIERERN unterstelle, dass sie weniger doof sind, als sie sich geben. Immerhin heißt eines ihrer Alben "Physik"!

DIE ÄRZTE haben zuletzt mit „Meine Freunde“ einen ähnlichen Song mit entsprechender Qualität abgeliefert, dann kam ausschließlich reflektierter und entschärfter Humor. Den KASSIERERN rechnet man als Punk vor allem an, dass sie „einfach machen, was sie wollen, auch wenn es dem Großteil der Gesellschaft widerspricht“. Kann man so stehen lassen, aber sind HELGE SCHNEIDER, SCOOTER und TON, STEINE, SCHERBEN dann auch Punk? Was unterscheidet einen Punk dann von einem Metaller? Viele Metaller mögen den Vergleich mit Punks übrigens gar nicht, sondern sehen den Unterschied darin, dass Punks zum größten Teil nicht arbeiten gehen würden. Ob die obdachlosen Punks auf der Straße so viel mit dem musikalischen Sinn von Punk zu tun haben, sei dahingestellt.

Neu dazugekommen sind die Elektro Punks, Bands wie EGOTRONIC oder auch FRITTENBUDE werden diesem Genre zugeordnet, da ihre Texte lustig, teilweise sinnfrei sind und somit am besten zum Punk passen sollen. Manche gehen sogar soweit, Bands wie DEICHKIND dem Punk zuzuordnen, in diesem Fall festgemacht an der Gesellschaftskritik. Songs wie "Arbeit Nervt" oder "Bück Dich Hoch" werden ebenso wie Punktexte unterschätzt und enthalten doch – wenn auch provokant und derb – heftige Kritik am Druck, der in der Gesellschaft herrscht. Songs wie "Hört Ihr Die Signale" oder "Remmi Demmi" fröhnen den hemmungslosen Saufgelagen, welche man eigentlich dem Punk zuordnet. Von daher ist der Vergleich gar nicht so weit hergeholt, wird aber vom ursprünglichen Punk sicher nicht so gerne gehört.

Eine weitere Veränderung im Bereich Punk betrifft auf jeden Fall die Optik. Wo seid ihr hin, ihr Röhrenhosenträger, Irokesenbesitzer und Kettenliebhaber? Ich habe euch weder bei DAS PACK, LOVE A, FRAU POTZ, TURBOSTAAT, PASCOW, BEATSTEAKS und auch nicht bei DIE ÄRZTE gesehen. Ausgestorben oder was? Dort traf ich auf gleichgeschaltete Masse, die weder phantasievoll gekleidet noch rebellisch auftrat, und gesoffen wurde auch nicht. Werden doch aber all diese Bands zum Punk gezählt…

Genauso wie GREEN DAY oder die gerade frisch ausgegrabenen THE OFFSPRING. Ich hatte den Eindruck, dass THE OFFSPRING nicht mehr so richtig hinter Texten wie „Bad Habit“ stehen können. Bei Rock am Ring wirkte die Band doch etwas distinguiert und nicht mehr eins mit ihrer eigenen Musik. Bands wie GREEN DAY versuchen zwar das Optische zu transportieren, wirken mir aber im Großen und Ganzen viel zu Plastik und berühren mich weder textlich noch musikalisch. Unfassbar wenn man bedenkt, wie ich das Album „Dookie“ der Band damals abgefeiert habe. Damals war das für mich Punk, schon alleine weil auf dem Shirt ein Scheißhaufen war.

Durch die Reportage „Yangon Calling“ über Punks in Myanmar musste ich feststellen, dass dort der Punk noch eher meinem persönlichen Bild von Punk entspricht als hier in Deutschland. Die Musik, die Texte und auch die optische Erscheinung sind die Ausdrucksform der dortigen Jugend, ihre einzige Möglichkeit, Gedanken auszusprechen und ihre Meinung zur Schau zu stellen. Allein der Besitz einer Punk Platte kann dort schon ein Ticket für den Knast sein, Besuch oder Veranstaltung eines Punk Rock Konzertes werden ausnahmslos als Kritik an der Regierung ausgelegt. Es geht also weit über Rebellion hinaus, wenn man dort diesen Lebensstil lebt.

Brauchen wir in Deutschland keine Provokation mehr, da wir wählen gehen können und zahlreiche Möglichkeiten haben, uns gegen Ungerechtigkeiten zu verteidigen? Bis jetzt kann ich mir weder die Frage beantworten, wohin es mit dem Punk geht, noch die Frage, was Punk überhaupt ist. Aber ich bleibe dran…

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