Riverside - Live ID. Tipp

Riverside - Live ID.
    Progressive Rock / Metal

    Label: InsideOutMusic / Sony Music
    VÖ: 24.01.2025
    Bewertung:9/10

    www.riversideband.pl


Mit Live-Alben ist das immer so eine Sache. Oder war es schon immer. Sogar bei den großen Aufnahmen aus der Rock-Geschichte hatte sich irgendwann herausgestellt, dass nachträglich an den soundtechnischen Schrauben gedreht wurde, um möglichst nahe an die destillierte Perfektion des Studiomaterial heranzukommen. RIVERSIDE sind da anders. Für sie sind Live-Shows der Ort, an dem die Musik wirklich lebendig wird – sie verbinden sich mit den Fans, improvisieren und übertreffen sogar die Studioaufnahmen.

Mariusz Duda erklärt: „Ich würde behaupten, dass RIVERSIDE auf Konzerten immer besser rüberkommen als auf Studioalben. Tatsächlich entfalten unsere Songs erst bei Live-Auftritten ihr volles Potenzial. Darüber hinaus sind einige Songarrangements in Live-Versionen viel besser als in Studioaufnahmen. Es gibt viele Nuancen, Eigenheiten und vor allem Erklärungen, worum es in der Musik von RIVERSIDE geht. Deshalb ist Live ID. kein gewöhnliches Live-Album. Es ist ein Album, das die wahre Identität der Band offenbart.“

In den letzten rund 20 Jahren hat sich RIVERSIDE zu einer hochkarätigen, versierten Live-Band entwickelt, die ihre Auftritte seit dem Debüt „Out of Myself“ im Jahr 2003 kontinuierlich verfeinert hat. Nach der Tragödie des Verlusts ihres Gitarristen Piotr Grudziński im Jahr 2016 definierten sie ihre Identität neu. Ihr Schwerpunkt verlagerte sich weg von Melancholie und Selbstbeobachtung hin zu einer freudigeren und lebendigeren Präsentation, und die Band versuchte, eine positivere Verbindung zu ihrer Fangemeinde aufzubauen. Am 1. Juni 2024 spielten die polnischen Progressive-Rock-Meister einen triumphalen Coming-Home-Gig in Warschau und markierten mit einer gigantischen Live-Performance von 12 Songs den Höhepunkt der ID-Entity-Tournee. Zu diesem Zeitpunkt hatten RIVERSIDE anderthalb Jahre damit verbracht, das Album live zu spielen und fast 90 Shows auf dem Buckel. Dass das Material in Fleisch und Blut übergegangen ist, kommt in jeder Note zum Ausdruck. Deswegen überrascht es auch nicht, dass sechs der sieben Tracks von ID.Entity ihren Weg in das Live-Set fanden.

Es gibt einen sehr druckvollen und räumlichen Basssound auf die Ohren, der die Stimmung beim Publikum und vor der heimischen Anlage gleichermaßen anheizt. Dass man auf der Aufnahme zudem schön die Menge hört, sorgt für eine wunderbare Live-Atmosphäre. Das zeigt sich bereits zu Beginn der Aufnahme, wo RIVERSIDE direkt mächtig in die Vollen gehen. Die Vorfreude steigt, wenn Michal Lapaj das Konzert mit seinen stimmungsvollen Synthesizern einleitet, gefolgt von einer markanten Basslinie von Mariusz Duda. Der Fokus von „Addicted" (aus Love, Fear And The Time Machine von 2015) auf soziale Medien passt ideal zum Identitätsthema der Tour. Diese Live-Version ist viel eindringlicher als die eher zahme Studioversion. „02 Panic Room" (aus Rapid Eye Movement von 2007) begeistert das heimische Publikum mit seiner tuckernden, pulsierenden Pracht und Gitarrist Maciej Meller trägt mit heftigem Riffing zur Dynamik des Songs bei. Der schelmisch verlängerte „eingefrorene Moment“, in dem die Band für ein paar Sekunden still steht, wird die Zuhörer vielleicht nur in der Audio-Version irritieren.

Das rhythmische Haken schlagende, explosive „Landmine Blast", das die Cancel Culture zum Thema hat, fesselt von Anfang an mit seinem mörderischen Eröffnungsriff, und weiß wirklich, einen in seinen Bann zu ziehen. Als nächstes fordert Duda roboterhaft das Publikum auf, die „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ zum dystopischen „Big Tech Brother“ zu akzeptieren. Der feiste Groover mit grollendem Bass, fetten synthetischen Bläser-Sounds und Floydschen Keyboards ist eine Anprangerung der großen Konzerne, die unsere persönlichen Daten in einer bedrohlichen Art sammeln. Er findet seinen Höhepunkt in dem knirschenden Gitarren-Gewitter von Maciej Meller. Das folkig angehauchte „Lost" (aus Love, Fear and the Time Machine von 2015) ist ein seltener Moment sanfterer Selbstbeobachtung in dieser sonst energiegeladenen Show, wunderbar melodisch und emotional mitreißend. Die Band verzichtet auf visuelle Effekte und konzentriert sich völlig auf die Interakion mit dem Publikum, das die Band als 5. Mitglied sieht.

„Left Out" (aus Anno Domini High Definition von 2009) ist ein echter Höhepunkt dieses Live-Albums, das RIVERSIDEs Meisterschaft darin, sanftere Introspektion, schwungvolle melodische Passagen (das Publikum schunkelt fleißig mit) und leidenschaftliche Rock-Ekstase nahtlos miteinander zu verschmelzen, am besten charakterisiert. Hinter dem sich selbst erklärenden Titel „Post-Truth" verbirgt sich ein kompakter, eingängiger und äußerst metallischer Song mit Stakkato-Riffs en masse. Es ist auch eines von vielen Beispielen dafür, wie Lapaj die Texturen innerhalb von Songs geschickt verändert, indem er zwischen modernen Synthesizern und einem eher Retro-Stil mit Orgel wechselt.

Das Haupthighlight der neueren Songs ist eine epische Version von „The Place Where I Belong“, die mit Dudas klagendem Gesang beginnt. Die Hauptstars dieses Stücks sind jedoch Lapajs plätschernde Orgelläufe und Mellers sanfte Gitarren-Swings, die in ein feierliches Finale fließen. „Egoist Hedonist" (aus Anno Domini High Definition von 2009), dessen Text über Betäubung und Deindividualisierung auf seine ironische Art umso erschreckender wirkt, ist eine großartige Komposition, der Aufbau und das Konzept sind exzellent, das Ganze untermalt mit spacigen Tasten, großartiger Bassarbeit, schwerer metallischer Gitarre und einem erfrischenden Bläserabschnitt.

Riverside 022 v1 by Radek Zawadzki w credit

Photo Credits: Radek_Zawadzki

Das über zivilisatorische Entwicklungen zynische „Friend or Foe" wird von einer markanten Sequencer-Figur und Frontmann Mariusz Dudas nuanciertem Bassspiel getragen und bringt die Fans mit seinem elektrisierenden Groove in Wallung. Schlagzeuger Piotr Kozieradzkis verzichtet hier auf Komplexität, die er sonst meisterhaft beherrscht. In dem geradlinigen „Self-Aware" wechselt die Band in einen frenetischen Boogie-Modus mit bizarrem Reggae-Teil, was es zu einer ausgezeichneten Wahl für eine Zugabe macht. In einem spannenden Schlussteil gehen sie in ein kraftvolles „Driven to Destruction“ über. Live-ID. endet mit einer erweiterten Version ihres wunderschön melodischen „Conceiving You" (aus Second Life Syndrome von 2005). Die gesamte Band ist in einem epischen Ende wunderbar synchron und verwickelt das Publikum in einen „Silent Scream“.

Für Fans, die eine dieser Shows besucht haben, ist der Kauf dieser wunderschön präsentierten und exzellent aufgenommenen Live-Veröffentlichung ein Pflichtkauf und die Möglichkeit, die Magie noch einmal zu erleben. Wenn man noch kein RIVERSIDE-Fan sind, ist dies ein guter Ausgangspunkt, um einer zu werden. „Live ID.“ ist erhältlich als Ltd. 2CD+Blu-ray Digipak (die Blu-ray enthält Stereo und 5.1-Sound der Live-Show sowie ein spezielles Behind the Scenes-Feature), Gatefold 3LP auf 180g Vinyl mit 8-seitigem LP-Booklet oder als digitales Album.

Tracklist:

1. #Addicted 07:51
2. Panic Room 04:40
3. Landmine Blast 07:28
4. Big Tech Brother 08:11
5. Lost 06:57
6. Left Out 12:55
7. Post-Truth 06:41
8. The Place Where I Belong 15:46
9. Egoist Hedonist 11:12
10. Friend or Foe 08:47
11. Self-Aware 09:45
12. Conceiving You 12:07

Wölfi

Stile: Progressive Metal, Heavy Metal, Power Metal, Thrash Metal, Death Metal, Alternative Prog, New Artrock

Bands (momentan): Alterium, Walk In Darkness, Symphony X, Sunburst, Evergrey, Angra, Lovebites, Crypta, Ne Obliviscaris, Leprous, Temic, Orbit Culture

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