Geschrieben von Dienstag, 09 Oktober 2012 21:07

Billy Talent, Anti-Flag & Arkells - Frankfurt / Festhalle

30 Billy Talent Frankfurt 07


07.10.2012 - Frankfurt Festhalle: BILLY TALENT, das symphatische Quartett aus Toronto, Kanada hat gerade sein viertes Album "Dead Silence" mal eben aus dem Stand auf Platz eins der deutschen Charts katapuliert. Nicht zum ersten Mal und außerdem vollkommen zurecht. Dass die Jungs auf Platte überzeugen, sollte damit geklärt sein. Bekannt ist die Band aber in erster Linie für ihre gute Liverperfomance. Also nahmen wir die Gelegenheit wahr und besuchten BILLY TALENT auf ihrer aktuellen Deutschlandtour in Frankfurt. Als Support waren die grandiosen ANTI-FLAG und die, wie sich herausstellte, nicht minder spektakulären ARKELLS mit von der Partie. Lest selbst, welchen Abriss die drei Truppen in der Frankfurter Festhalle veranstaltet haben. Eines vorweg: BILLY TALENT definieren die Floskel "überzeugende Liveband" immer wieder neu!



Nachdem ich zuletzt Ende Juni bei DIE ÄRZTE die Festhalle Frankfurt besucht habe, hatte ich diese nicht in besonders guter Erinnerung. Das Konzert war überzeugend aber viel zu voll, zu heiß, der Sound zu leise ... kurzum: nicht das Gelbe vom Ei. Wir waren schon am frühen Nachmittag an der Halle – in erster Linie weil wir Basser Jon noch für euch zum Interview trafen – aber auch so hätte ich mir diese Vorbands auf keinen Fall entgehen lassen wollen. ARKELLS und ANTI-FLAG! Genau wie BILLY TALENT sind ANTI-FLAG aus den USA schon seit 1993 am Start, überzeugen live auf ganzer Linie und spielen genialen, rotzigen Punk Rock mit Aussage. Die Rocker von den ARKELLS wiederum sind Landsmänner von BILLY TALENT und ballern seit 2006 durch die Gegend.

Das Publikum in der Frankfurter Festhalle war sehr unterschiedlich, ein solch extremes Gefälle habe ich schon lange nicht mehr bei einem Konzert gesehen: Kleine Kinder (keine Jugendlichen, wirklich Grundschulalter...), Grauhaarige, junge Emos, Metalfans mit entsprechenden Bandshirts ... BILLY TALENT scheinen wirklich eine breite Masse anzusprechen, was auch ihre Charterfolge erklärt. Ziemlich rasch waren zahlreiche der Anwesenden auch in BILLY TALENT Shirts gekleidet, die Band hat garantiert einen guten Umsatz gemacht an diesem Abend. Ein Shirt kostet 25 Euro, auf jeden Fall ein stolzer aber auch ein fairer Preis, da die Ware sehr hochwertig bedruckt ist.

Gegen 19:30 Uhr hatten die ARKELLS die Ehre, den Abend zu eröffnen. Ich hatte nicht erwartet, dass sie so extreme Rampensäue sind, aber die Truppe hatte das Publikum umgehend im Griff und zog ihr Set mehr als überzeugend durch. Nicht selbstverständlich, dass schon die erste Vorband Mitsingspielchen startet und diese auch noch überaus erfolgreich ausfallen. Die Halle war eigentlich schon so gut wie komplett voll, so dass die ARKELLS ganz sicher nicht das Gefühl hatten, hier die „kleine" Vorband mimen zum müssen. Sichtlichen Spaß hatte die Band an dem Auftritt, der Keyboarder ging richtig steil und hämmerte auf die Tasten ein, dass es Spaß machte, im zuzuschauen. Das Gemeinschaftsgefühl in der Band scheint vorbildlich, der Sänger flößte dem Schlagzeuger liebevoll Bier ein, damit dieser auf seinem Posten nicht zu kurz kam, und der Stimmungspegel hielt. Auch die rockigen, leicht indiemäßigen Songs waren ganz ordentlich, ich werde mir auf jeden Fall einige CDs dieser Band besorgen und mir die ARKELLS wieder live anschauen, sobald sich die Gelegenheit bietet. Leider kann ich nicht mit Songtiteln dienen aber bestätigen, dass die Band ordentlich Dampf im Kessel und Bock auf Mucke und Konzerte hat. Das übertrug sich sofort auf das Publikum, so dass die ARKELLS ein überraschender Gewinn für den Abend waren, hatte ich doch schon dröge Indiemusik befürchtet. Vor allem der lockenköpfige Fronter gab sich alle Mühe und wurde mit Applaus belohnt, der weit über "Vorbandstatus" hinausging. Auf den Punkt bringen könnte man die Musik, als "die gedopten KOOKS".

Wenn die ARKELLS schon Rampensäue sind, dann weiß ich eigentlich nicht, was man zu ANTI-FLAG noch sagen kann. Aufwärmphasen, Pausen, Hänger? Nicht bei ANTI-FLAG, die Band ist ein Garant für impulsive Auftritte, puren Punk Rock, aufrüttelnde Ansagen und es geht auch gerne mal was kaputt bei den Jungs. Ohne mit der Wimper zu zucken schrammelten sich ANTI-FLAG durch das Set. Das Publikum dankte es der Band mit zahlreicher Unterstützung in Form von Circle Pits, Hüpferei, Pogo und natürlich tatkräftiger „gesanglicher" Mithilfe (Brüllen bis der Arzt kommt trifft es besser ...). ANTI-FLAG ballerten sich ordentlich durch die Bandgeschichte, und bei „This Is The End" kam Bassist Jon von BILLY TALENT auf die Bühne, um unterstützend in die dicken Saiten zu greifen. Weiteres Highlight war „1 Trillion Dollars", der sich zum schunkelnden Mitsingen nur so anbietet. ANTI-FLAG heizten der Menge wirklich ordentlich ein, glücklicherweise wurden vorab Schweißbänder von einem örtlichen Radiosender verteilt, denn die Suppe floss jetzt schon in Strömen. ANTI-FLAG bezeichnen sich nicht umsonst als politische Punkband, das war in den Ansagen deutlich zu spüren. So sprach der Sänger unter anderem an, dass Deutschland eines der ersten Länder war, die nach Fukushima eine Reaktion zeigten und ihre Hilfe anboten.

Den Rausschmeißer machten ANTI-FLAG mit „Die For The Government" und einem Cover von THE CLASH mit "Should I Stay Or Should I Go" – das kann man zusammenfassend eigentlich nur als den totalen Abriss bezeichnen. Endlich ging auch was kaputt, aber schaut am besten selbst. ANTI-FLAG wissen, wie man Publikum heiß macht und richtig auf die Kacke haut. Punk Rock deluxe:



Um 21:30 Uhr kamen dann endlich BILLY TALENT auf die Bühne. Das Intro machte, wie zu erwarten war, „Lonely Road To Absolution" und gleich im Anschluss folgte „Viking Death March". Die kanadische Aufziehmaus Ben zog wie immer alle Register und wirbelte über die Bühne, dass man schnell sein musste, um ihm zu folgen. Wie man sich sicher denken kann, hat der Typ auch live ein Organ, das einen wegfegt. Umso überraschter war ich über die textsicheren ersten Reihen, da hat aber mal jemand ordentlich Booklet gelesen. Erfreulich – zeigt es doch, dass sich die Fans auch mit den Texten befassen.

BILLY TALENT haben einen Trumpf, den wenige Bands besitzen: Sie können praktisch mühelos ein Set zusammenstellen, welches nur aus Hits besteht. Jeder Song ein Treffer, jede Hook ein Knaller, jeder Beat ein Brett, bei BILLY TALENT kann nichts schief gehen. Noch dazu gibt's den schreienden Gummiball auf der Bühne, der kreischen aber auch wundervoll singen kann. Musikalisch waren BILLY TALENT an diesem Abend auch wieder umwerfend. Seit RAGE AGAINST THE MACHINE gab es keine bessere Rhythmustruppe als die Kanadier von BILLY TALENT.

Die Band hatte eine schöne Setlist zusammengestellt, mit Schwerpunkt auf dem aktuellen Album „Dead Silence" aber auch vielen alten Klassikern. Da hat sich einiges angesammelt in den letzten Jahren. Mein Highlight vom neuen Album war „Love Was Still Around", der Song startet so heftig wie bei manchen Bands die Songs enden. Sofort ist man mitten im Beat und live zog der Song umgehend mit. Kurz darauf schrie uns Ben mit „Line And Sinker" in Grund und Boden. Herrlich, wenn der kleine Kerl so unfassbar krass durchdreht und über die Bühne wirbelt.

Als mein Lieblingssong „Try Honesty" kam, war generell in der Halle kein Halten mehr. Zum Glück hat meine Begleitung den Song mitgefilmt. Noch schöner, als zum Lieblingssong komplett auszurasten, ist nämlich den Song danach nochmals anschauen zu können. Ich hoffe nur, dass mich niemand gefilmt hat. Wie war das noch in den Lyrics „I´m insane, it is your fault ...". Nicht nur ich hätte an diesem Abend locker die Aufnahmeprüfung für das Irrenhaus bestanden. Komplett durchgedreht und abgespackt ist noch leicht untertrieben. Traditionell nutzt Ben den langsamen Teil des Songs, um Worte an das Publikum zu richten. In Frankfurt wies er darauf hin, dass es soviel Dreck gibt, der uns auf die "musikalischen Eier geht" und Rock And Roll der Einzige ist, der immer zu uns hält ... In diesem Moment habe ich ihm das geglaubt.



Jeder von BILLY TALENT gab absolute Höchstleistung an diesem Abend. Die Band ist einfach eingespielt, hat schon einige Festivals und Konzerte gerockt in diesem Jahr. Für Musikfans ist es immer ein Fest, wenn eine Band dieses Level erreicht hat und sich blind versteht. Die Fans in Frankfurt genossen das Konzert in vollen Zügen, flippten komplett aus, tanzten verrückt vor sich hin, schrien bereitwillig „Over and over" zu „Devil On My Shoulder" gen Bühne, schrien bis die Luft wegblieb die Texte mit, starteten einen Circle Pit nach dem anderen und applaudierten begeistert nach jedem Song. Band und Publikum schaukelten sich gegenseitig zur Höchstleistung auf. Und auch wenn die Oberränge komplett leer waren, die Stimmung war grandios. Erfreulicherweise nutzten BILLY TALENT zwei große Leinwände, so dass auch die Besucher weiter hinten das Konzert gut mitverfolgen konnten.

Zwischenzeitlich wurde ein beschrifteter BH auf die Bühne geworfen, den Ben sofort anzog und der ihm wie angegossen passte. Was darauf stand, kann man sich ja denken ... bestimmt nicht "Ben, du bist lieb...", sondern eher die deftige Variante. Ben schien das sichtlich zu freuen.

Nachdem die Band das obligatorische „Wir machen Schluss und kommen dann doch nochmal raus"-Spiel veranstaltet hatte, hauten BILLY TALENT noch drei Knaller in Folge raus. „Fallen Leaves" mobilisierte auch die letzten Fans zum Tanzen, dicht gefolgt von „Surprise, Surprise". BILLY TALENT schienen ein kleines Zeitproblem zu haben und spielten die Songs fast nahtlos hintereinander weg, sehr zur Freude der Fans. Den letzten Tropfen Schweiß quetschten uns BILLY TALENT dann mit „Red Flag" raus. Da Basser Jon vorher bei ANTI-FLAG ausgeholfen hatte, schickten die nun Chris #2 aus ihren Reihen auf die Bühne. Einige Fans hatten rote Flaggen dabei und schwangen diese wild zum Abschluss durch die Gegend. Gott sei Dank war in der Halle noch die Möglichkeit, Plätze mit ordentlich Bewegungsfreiheit zu ergattern – wenn einem da einer ins Tänzchen gelaufen wäre, der wäre leider gnadenlos weggebasht worden. Komplette Verausgabung von Band und Publikum.

Verschwitzt und glücklich ging es gegen 23 Uhr nach Hause. BILLY TALENT live? Jederzeit und gerne wieder! Für Bands wie BILLY TALENT wurden Konzerte überhaupt erst erfunden!

Setlist BILLY TALENT:

Lonely Road to Absolution
Viking Death March
Turn Your Back
Devil in a Midnight Mass
This Suffering
Line & Sinker
Love Was Still Around
Rusted From the Rain
Saint Veronika
Runnin' Across the Tracks
Surrender
Diamond on a Landmine
Man Alive!
This Is How It Goes
Try Honesty
Devil on My Shoulder
Encore:
Fallen Leaves
Surprise Surprise
Red Flag

Fotos © BurnYourEars / Nadine Schmidt