Geschrieben von Deniz Freitag, 13 Mai 2005 23:22
Porcupine Tree & Anathema - Köln / Bürgerhaus Stollwerk
Porcupine Tree, die Götter des Art Rock, haben vor wenigen Wochen ihr neuestes Opus „Deadwing" veröffentlicht - mal wieder ein Killer - und kurz darauf luden sie ins Bürgerhaus Stollwerk in Köln ein. Da gibt's kein Überlegen, da wird hingegangen. Dachten sich auch knapp 600 Fans. Somit war das Konzert locker ausverkauft. Konsequenz: Vor dem Konzert wechselten noch einige Karten zu überhöhten Preisen den Besitzer. Porcupine Tree sind eben seit dem Meisterwerk „In Absentia", dem härtesten aber auch poppigsten Album der Bandgeschichte, zu einer heißbegehrten Rockformation geworden, und das obwohl Mastermind Steve Wilson seit fast 20 Jahren geniale Songs schreibt.Aber auch Anathema als Support-Act der PT-Europa-Tour dürften noch viele Zuschauer zusätzlich angezogen haben.
Anathema:
Anathema spielten einen klasse Gig und ernteten soviel Beifall, wie es selten eine Vorband bekommt. Die Songs, die stets parallel von E- und Akustik-Gitarre getragen wurden, erfüllten die gesamte Halle mit viel Gefühl, Melancholie und einem Hauch von Glück. Die im positiven Sinne theatralische Mischung aus Pink Floyd-scher Psychedelik, an Radiohead erinnernde Traurigkeit und viel Drive kam beim Publikum super an, auch weil sich die Engländer um Sänger und Beau Vincent Cavanagh sehr spielfreudig zeigten und der Sound exzellent war. Zwar kannte ich persönlich vorher nur das „Alternative 4"-Album, aber gerade die zwei Hitnummern dieser Platte, „Empty" und „Fragile Dreams", waren die Highlights eines einstündigen (!) Auftritts, der sicherlich mehr als nur eine Aufwärmübung für Porcupine Tree war. Anathema möchte ich gerne noch einmal live sehen. Ach ja, nebenbei angemerkt, auch wenn ich weiß, dass Anathema mal als doomige Metalband angefangen haben, ist es kaum zu glauben, dass diese sensibel anmutenden Herren mal im Vorprogramm von Cannibal Corpse gezockt haben...
Porcupine Tree:
Als die Musiker von Porcupine Tree auf die Bühne kamen, rastete das Publikum völlig aus. Und das hielt nicht nur während der gesamten Show an, sondern steigerte sich tatsächlich von Song zu Song - bald glich das Bürgerhaus einem Schnellkochtopf. Es war aber auch wirklich traumhaft; Porcupine Tree live zu erleben ist etwas Besonderes, obwohl ich vorher noch dachte, dass das Sehen der Menschen dahinter meine Illusion der perfekten Musik zerstören würde. Gut, Steven Wilson sieht in Real so aus wie der Besitzer eines Töpfer-Ladens oder wie ein Chemie-Guru, der freiwillig zehn Semester extra studiert, sprich, Charisma ist etwas anderes, und auch seine Mitmusiker versprühen, wenn überhaupt, nur etwas Altherren-Coolness. Aber vielleicht macht das die Musik noch sympathischer und das Mysterium Porcupine Tree noch geheimnisvoller. Schließlich sind Porcupine Tree kein Entertainment-Produkt der Industrie, sondern das genaue Gegenteil.
Das Set wurde, wie zu erwarten war, mit dem Titeltrack und Opener des neuen Albums „Deadwing" furios gestartet. Insgesamt, war das erste Drittel des Abends stark von der neuen CD geprägt. „Lazarus" (wunderschön), „Halo" (rockt live wie Sau), „Arriving Somewhere But Not Here" (ich wollte weinen vor Freude) und „Meletron Scratch" (mit verlängertem Satzgesang am Ende!) kamen schon sehr früh zum Zuge. Aber zu Recht fanden sie alle Platz in einem langen Set, das selbstverständlich noch perfekt dargebotene Wahnsinnsnummern wie „Blackest Eyes" (ein Gassenhauer), „The Sound Of Muzak" (göttlich) sowie einige ältere Stücke wie „Hatesong" und dem Double „Fadeaway" + „Burning Skies" enthalten musste. Schade nur, dass sie in Köln „Open Car" nicht gespielt haben, eines meiner Lieblingsstücke der neuen Platte. Ein Gnadenlos guter Sound und eine Videoleinwand auf der künstlerische, meist morbide Bilder im Zusammenhang zu den einzelnen Songs - speziell bei „Blackest Eyes" wurde die gesamte Story visuell nacherzählt - gezeigt wurden machten die gesamte Show zu einem Erlebnis der ganz besonderen Art.
Das Publikum feierte die Band frenetisch ab, verlangte stetig nach mehr und bekam alles. Steve Wilson und seine Mannschaft blieben trotzdem cool, spielten sich erst gar nicht auf, sondern ließen ihre grandiose Musik für sich sprechen. Nur der Schlagzeuger durfte mit einem Schlagzeugsolo angeben, das es in sich hatte. Es zeigte nämlich in drei Minuten das, was er eigentlich während des kompletten Auftritts tat: ständig abgefahrene Breaks und aberwitzige Rhythmuswechsel spielen. Im Zugabenteil, der mit „Shesmovedone" begann, ließ schließlich „Trains" orgastische Reaktionen aufkommen, bei dem das Publikum den Klatsch-Part übernahm - zwar nicht ganz korrekt, da es aus mehreren Sätzen besteht, aber es passte trotzdem irgendwie zur Musik. Nach rund 1 3/4 Stunden war dann gegen Mitternacht Schluss. Zurück blieben eine glückliche Band und ein feierndes Publikum (die Stimmung war gigantisch!).Hier noch drei Dinge, die zu erwähnen sind:
1. Am Eingang wurden einem die widerliche Computer-Eintrittskarte abgenommen und gegen eine schöne, im Coverdesign bebilderte, an gute Zeiten erinnernde Eintrittskarte ausgetauscht... Sehr löblich!
2. Schon mitten im Konzert fiel auf, dass Wilson gar keinen Stimmverzehrer benutzt hat - im Gegensatz zu den Versionen auf CD.
3. John Wesley hat ziemlich viele Gitarrenparts übernommen und nicht nur das Solo von „Shesmovedon". Stimmlich war er eine prima Ergänzung zu Steve Wilson, der ebenfalls gut bei Stimme war.
Und noch eine witzige Anekdote nebenbei:Ein jüngerer Fan dachte sich in seinem jugendlichen Ungestüm, dass Stagediven auch bei einem Prog-Konzert erlaubt sein dürfte. Also kletterte dieser auf die Bühne, bereitete mit Handbewegungen die Leute unter sich vor und Sprang selbstbewusst horizontal hinab... Die Leute machten in dieser Sekunde allesamt einen Schritt zur Seite und der junge Mann knallte kerzengerade auf den Boden - wie bei einem Bauchplätscher... Autsch!!!
Komplette Setlist:
Deadwing
The Sound Of Muzak
Lazarus
Halo
A Smart Kid
Arriving somwhere But Not Here
Hatesong
Fadeaway
Burning Skies
Mellotron Scratch
Blackest Eye
Even Less
Shesmovedon
Trains
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