06.03.08 – Donnerstag, 20.30 Uhr, ich staune: Das Logo soll ausverkauft sein, seit 20 Uhr ist Einlass, doch von Gedränge im Inneren keine Spur. Das hab ich hier schon ganz anders gesehen. Umso gemütlicher kann ich mir das erste Bier besorgen, einen Blick auf den Merch-Stand werfen (die Shirtpreise, meist zwischen 15 und 20 Euro, gehen ok, dafür gibt’s aber wieder fast nur langweiliges schwarz) und mir einen Hocker sichern. Erste Band des Abends: STOLEN BABIES aus Los Angeles, deren Drummer mir unerwartet bekannt vorkommt. Beim zweiten Blick erkenne ich Gil Sharone unter dem schwarzen Zylinder, der seit letztem Jahr auch bei THE DILLINGER ESCAPE PLAN hinter den Kesseln sitzt – seine Erstband hatte ich gar nicht auf dem Zettel. Und dass die drei Jungs plus Frontfrau und Akkordeon-Spielerin Dominique Lenore Persi verkleidet auftreten, auch nicht.
Der Aufzug der STOLEN BABIES passt hervorragend zur recht gewöhnungsbedürftigen Musik: Die spezielle Mixtur hätte ich als Zirkus-Metal oder Avantgarde-Rock mit Metalroots bezeichnet, wenn es nicht den treffenderen Begriff „Dark Cabaret“ für die bizarr-kunstvolle Aufmachung mit Gothic-Touch und visueller Anlehnung an die 20er Jahre gäbe. Wie immer man es also nennen will – das sieht recht lustig aus und hört sich auch ganz interessant an. Zwischen klarem Gesang, melodisch und auf den Punkt, wird immer wieder geschrien, das Akkordeon sorgt für recht ungewöhnliche Zwischentöne und die Tasten-/Orgelklänge aus dem Synthie geben dem Ganzen einen zusätzlich abstrusen Anstricht – doch dass mich das alles irgendwie beeindruckt oder mitreißt, kann ich nicht behaupten. Originell sind die STOLEN BABIES zwar allemal, aber diese Mischung aus Metal-Chaos, leichtem Industrial-Punk und … tja… tatsächlich „Zirkusmusik“ funktioniert wohl erst nach längerer Eingewöhnungszeit und klarerem Soundbild. Davon kann jedoch nicht die Rede sein, denn selbiges dringt recht matschig aus der PA. Der Gig gerät insgesamt zu kurz, um die Ohren zu gewöhnen – insgesamt gibt’s aber warmen Applaus von den immer zahlreicher werdenden Gästen.
Als etwa eine halbe Stunde später die Post-Hardcoreler POISON THE WELL loslegen, ist das Logo wie erwartet proppevoll. Ohne sich mit langen Reden oder auch nur längeren Zwischenkommentaren aufzuhalten, orgeln die Jungs um Sänger Jeffrey Moreira ihre Songs in die schwitzenden vier bis fünf Reihen, die sich vor der Bühne verausgaben. Während ich damit beschäftigt bin, mich vor ungewollten Armstößen oder Fußtritten aus dem brodelnden Pulk vor meiner Nase zu schützen, singen die Fans lauthals mit, hauen ihre Fäuste in die Luft und feiern sich und die Band ohne Unterlass ab. Mir ist das insgesamt zu viel In-die-Fresse-Hardcore und zu wenig Abwechslung – was einerseits daran liegt, dass ich mich nie mit der Band beschäftigt habe und auch keinen der Songs kenne, andererseits ein Kennenlernen hier vor Ort durch den wiederholt stark verwaschenen Sound enorm erschwert wird. Den begeisterten Gesichtern um mich herum und der gesamten Bühnenaktion von POISON THE WELL nach zu urteilen, war’s trotzdem ein mehr als respektabler Auftritt.
Wie erwartet setzen THE DILLINGER ESCAPE PLAN locker noch einen drauf. Nebelmaschine und weißes Backlight angeschmissen, dazu ein spannungsvolles Intro vom Band, und flugs ist das Logo in eine knisternde, kühle Atmosphäre versetzt, voll freudiger Erwartung dessen, was uns die begnadeten Noise-Coreler jetzt vorsetzen werden. Und das ist Chaos und Physis pur, insbesondere was Sänger Greg Puciato anbelangt: Der Junge gibt, was seine Lungen zulassen, animiert die Fans und geht dermaßen steil, dass schon das reine Zusehen eine Freude ist.
„Ire Works“, das Album der Stunde, steht im Focus des zeitlich nur so dahinfliegenden Auftritts. Stellenweise bin ich einfach nur fasziniert von der Energie, die DILLINGER entfachen, unbesehen der Virtuosität, mit der die Band auch live ihre Instrumente beherrscht. Gnadenlose Kracher wie „Fix Your Face“ oder „Nong Eye Gong“ werden vom Moshpit ebenso enthusiastisch und dankbar abgefeiert wie der zugänglichste Song der Platte, „Black Bubblegum“, dessen aus vielen Kehlen mitgesungener Refrain mir eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Der groovige Smash’n Roller „Milk Lizard“ erweist sich live ebenfalls als absolute Granate und bildet einen dankenswerten Ruhepool zwischen der restlichen ultra-brachialen und komplexen Kost, mit der sich die Band den letzten trockenen Hemdzipfel klatschnass spielt.
Ohne Zugabe, sichtlich zufrieden und dankbar für den enthusiastischen Support der Hamburger Fans, verabschieden sich die New Jerseyer nach einer knappen Stunde von der Bühne. Wohlverdient, wie ich meine, da kann man auch vor dem Hintergrund der bereits seit drei Wochen andauernden Tour nicht mehr verlangen. – Was übrigens für alle drei Bands des Abends gilt, die ohne Ausnahme Gas gegeben haben, auch wenn der Sound bis zuletzt (als zwar gewichtiger, letztlich aber einzig nennenswerter Kritikpunkt) zu wünschen übrig ließ.
http://www.myspace.com/dillingerescapeplan
http://www.myspace.com/poisonthewell
http://www.myspace.com/stolenbabies
Fotos (c) BurnYourEars
Geschrieben von Chris Samstag, 08 März 2008 22:51
The Dillinger Escape Plan, Poison The Well & Stolen Babies – Hamburg / Logo
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Chris
Als Kind der 90er liebe ich Grunge und Alternative Rock – meine bevorzugten Genres sind aber Death, Groove, Dark und Thrash Metal. Ich kann Musik und Künstler schwer voneinander trennen und halte Szene-Polizisten für das Letzte, was Musik braucht. Cool, dass Du vorbeischaust!