Geschrieben von Mittwoch, 29 November 2006 23:06

The Eastpak Antidote Tour 2006 - Hamburg / Grünspan


23.11.06 – Es ist etwa 19.30 Uhr, als sich bei regennasser Fahrbahn vor dem Grünspan in Hamburg zwei Konzertgänger mit gemeinsamem Ziel treffen: Antidote Tour 2006. Mit dabei DANKO JONES, GOGOL BORDELLO, DISCO ENSEMBLE sowie BEDOUIN SOUNDCLASH. Letztere haben bereits gespielt, als vorgenannte Konzertgänger das Innere des Span betreten und auf eine dritte Person treffen, die bereits im Vorfeld ein Interview mit dem Bassisten von DANKO JONES geführt hat und ebenfalls nicht dazu gekommen ist, BEDOUIN SOUNDCLASH zu verfolgen. Schade, aber das macht die Aufarbeitung des restlichen Abends einfacher: Drei Personen, drei verbliebene Bands - drei Meinungen? Wir werden sehen.

Chris: Es waren die Umstände, die mich auf dieses Konzert führten. Weder die Namen der Bands zogen mich dorthin, noch die Musik ebendieser – dennoch war ich ein wenig gespannt, ob DANKO JONES ihrem Ruf als Mega-Entertainer gerecht werden würden, und von GOGOL BORDELLO als Live-Band hatte ich zumindest Gutes gehört. Von DISCO ENSEMBLE kannte ich das aktuelle Werk, also konnte zumindest da nichts schief laufen.

DISCO ENSEMBLE
spielten eine gute Show, die Punk-Songs mit Emo-Kante von „First Aid Kit“ gingen fluffig in mein Ohr und in die Beine vieler Kids, die sich vor der Bühne ersten Tanz-Verrenkungen hingaben. Das Grünspan war zu diesem Zeitpunkt bereits beachtlich gut gefüllt, zum Ende des Abends hatte ich den Eindruck, dass es nahezu ausverkauft war.
Nach kurzweiligen 30 Minuten spielten die Gipsy-Punks von GOGOL BORDELLO auf – und nach etwa zehn Minuten war ich von der Musik der Jungs plus zwei tanzenden Mädels auch schon ziemlich angenervt. Auf drei Sauf-Folk-Akkorden mit Gitarre, Fidel und Bass rumschrubben bis zum Erbrechen, das ist einfach nicht meine Welt. Zudem hatte ich stets Angst, dass dem Sänger die Hose letztlich endgültig über den Sack rutschen würde, mir reichte schon der sichtbare Schamhaaransatz… Dennoch, die gebotenen Tanz-Einlagen waren gut und die Show stimmte, zudem schien die Band im Publikum enorm viele Fans zu haben. Der ein oder andere verdrehte dennoch zusammen mit mir die Augen, als die letzte Zugabe Mantra-Länge erreichte. Dann doch lieber DANKO JONES.

Um gleich die Luft rauszulassen: In meinen Augen werden die drei Herren gnadenlos überbewertet. Die Songs rocken und haben Luft, aber insgesamt kann ich da keine besondere Klasse entdecken. Dass die Jungs live gut rüberkommen, daran besteht jedoch kein Zweifel, jeder Einsatz kam auf den Punkt und die Spielfreude kletterte ebenfalls in den dunkelgrünen Bereich. Von Dankos Entertainer-Qualitäten war ich allerdings enttäuscht – Publikums-Animation ist eh nicht meine Sache, und wenn dann noch jemand sein vermeintliches Super-Ego dermaßen langatmig und unlustig in den Lichtkegel stellen muss, schalte ich einfach ab und warte ungeduldig auf den nächsten Song. Nun, den Umstehenden schien auch das gefallen zu haben, insofern lag ich mit meiner Einschätzung goldrichtig, dass diese Tour einfach nicht für mich geschaffen wurde. Die Zugabe von DANKO JONES schenkte ich mir konsequenterweise; übrig blieben für mich ein halbgarer Abend und zwei Bier im Magen.

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Simon: Auch ich kann behaupten, dass ich das Konzert weder aus Fantreue noch aus brennendem Interesse heraus besucht habe. Die Gelegenheit macht Diebe und auf Ausgehluft hatte ich seltsamerweise auch mal wieder Appetit. Wie bei meinem letzten Besuch im Grünspan war der erste Zug schon abgefahren und einigermaßen pünktlich zur zweiten Vorband machten wir es uns in den hinteren Reihen häuslich.
Durch geringelte Longsleeves, dickrandige Brillen und über die Augen geworfenen Seitenscheitel zeichnen sich heute nicht ausnahmslos schlechte Bands aus und doch ertappte ich mich dabei, wie ich mit zweitklassigem Teenager-Schmalz und Herzschmerz-Gekreische rechnete. Die Band schrie rein optisch nach dem Bilderbuch. Glücklicherweise enttäuschte mich das DISCO ENSEMBLE in dieser Hinsicht, denn das, was die drahtigen Jungspunde auf der Bühne zusammen schusterten, gefiel mir eigentlich. Melodisch, überlegt und doch nicht zu eingängig sprühten sie zappelnd ihre Stücke durch den gut gefüllten Zuschauerraum, ohne dabei eine kompromissvolle Härte einzubüßen. Für das, was sie wahrscheinlich ausdrücken wollten, ging das ziemlich leicht runter, und die halbe Stunde war schnell vorbei.

Ich weiß auch nicht warum, aber die nächste Band war erneut ein Blickfang. Von GOGOL BORDELLO versprach ich mir trotzdem nicht zuviel, doch die irgendwie erfrischend anders klingenden Spaßvögel unterhielten mich - jedenfalls die ersten Lieder lang - ziemlich gut. Das Meiste hatte ich in dieser Kombination noch nicht gehört, und diese Einzigartigkeit wurde auch von den hüpfenden vorderen Reihen bestätigt, die sich wirklich viel Mühe gaben, das Klischee zu erfüllen. Über den wackelnden Rasta-Locken ereiferten sich nun auch zwei Tänzerinnen, die ab und an irgendwelche Laute von sich gaben oder mit Rat, Tat, Trommel und Becken der Band zur Seite standen. Trotz der zunächst charmanten Zirkus-Atmosphäre nervte die endloslange Zugabe auch mich, und hätte ich eine Uhr getragen, hätte ich wohl eher darauf als auf die Bühne geachtet. 

Selbstbewusst und auch ein wenig übermütig stapfte DANKO JONES, seines Zeichen Namensgeber des Trios, auf die Bühne. Selbst nach mehrmaligem Blinzeln musste ich immer noch an eine Light-Ausgabe von Dwayne Douglas "The Rock" Johnson denken, und ich wartete auf den entscheidenden Moment, indem er mir meine Einbildung durch eine gekonnt hochgezogene Augenbraue bestätigen würde. Über die Musik kann ich nicht viel sagen, denn zum Einen war das Dargebotene ziemlich substanzlos, sodass der Grossteil nicht hängen blieb, sondern am anderen Ohr unverdaut wieder herausflutschte, und zum Anderen war das einfach nicht meine Tasse Tee. Nichts von dem Dargebotenen war in irgendeiner Weise originell oder umwerfend neu, und ich war schnell angeödet. Schnörkelloser, konservativer und kompromissvoller kann man seine Musik kaum gestalten, und nachdem in den Ansagen auch noch alle längst hinter dem Verfallsdatum liegenden Klischees bestätigt wurden, wurde mir schnell klar, dass ich mich um diese Band in Zukunft nicht mehr zu groß kümmern muss. Das Publikum sah das größtenteils natürlich anders und feierte die stets gleich klingenden, lauwarmen „Kracher“, wohingegen ich recht müde herum lungerte und auf Besserung hoffte. Da ich auf diese nicht noch bis in die Zugabe warten wollte, schlurfte ich auch zum Ausgang. Vielleicht wird mir aber eines Tages doch klar, was diese drei Herren ausgerechnet von jeder öden Dorfschul-Cover-Band unterscheidet, die man an jeder Ecke findet.

Fazit Simon: Da hier eine lange Rede über das Thema Subjektivität oder verschiedene Geschmäcker sicherlich nicht hingehört, sei einfach gesagt, dass mir der Abend zwar gut gefallen hat, was nicht zuletzt an den netten Gesprächen und Begleitungen gelegen hat. Ich werde mich an die überwiegend belanglose Musik aber ohne diese Zeilen in Zukunft nur schwer erinnern können. 

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Kat: Oh, wie sich Meinungen doch unterscheiden können (und auch sollen). Ich hatte den Spaß an dem Abend nach dem etwas bemühten Interview mit dem Basser von DANKO JONES nun wirklich nicht gepachtet, aber nachdem ich danach mit den mich begleitenden Freunden erstmal eine Pulle Sekt geköpft hatte, tobten wir musikhungrig zurück in das Span. Nach einer superlangen Warterei mit dem unfähigsten, unfreundlichsten Garderobisten (also der, der die Mäntel aufhängt...) auf dem gesamten Kiez, wühlte ich mich zurück zu den anderen, um DISCO ENSEMBLE zu lauschen.

Ich stehe überhaupt nicht auf Indierock. Aber das, was die drahtigen Kerlchen da ablieferten, war sehr gut. Jeder Song hatte neue Glanzpünktchen, keiner klang wie der vorherige und meliodös war das auch noch, was die Herzchen da ablieferten. Energievoll und ideenreich ging es voran, die Köpfe wippten bis in die hinteren Reihen des schon äusserst gut gefüllten Clubs, während sich ganz vorne sogar sowas wie ein (allerdings sehr jugendlicher) Moshpit entwickelte. Diese Jungs aus Finnland kann man jedem Freund der guten Indiemucke nur empfehlen, bedingungslos.

GOGOL BORDELLO
also als nächstes. Gypsy-Punk aus New York City. Soso. Was da wohl anstand?. Sicherheitshalber quetschten wir uns im mittlerweile zu vollen Span mal nach ganz vorne. Baumelnd zwischen DJ-Käfig und bequemen Gummikissen fing dann eine Toberei allererster Kajüte an. Ich stehe auf Folk und ich stehe auf Punk. Beides zusammen mit einem ziemlich geilen Zigeuner-Geklimper ließ die ersten zwanzig Reihen unisono ausflippen. Man konnte sich völlig ekstatisch tanzen, was wir auch bis zum Atemstillstand getan haben. Die beiden Mädels machten einen abgespaceten Eindruck, die Klamottenwahl des Bandleaders war schräg bis grell (Wetten von einer Freundin und mir, wann wohl die Hose endlich runterrutscht, verliefen sich leider. Wir fallen aber auch nicht in Ohnmacht, wenn man mal Schamhaare sieht...) und der ältere Freak an der E-Violine könnte auch als Magier auftreten. Geil, geil, geil. Auf Platte kommt das sicherlich nicht so energisch und wild herüber, aber wenn man mal Lust hat, sich in höchste Höhen zu hoppsen: GOGOL BORDELLO angucken gehen!

Eigentlich dachten wir schon leicht angenervt, dass jetzt BEDOUIN SOUNDCLASH kommen sollten. Wir hatten im Gewühle gar nicht mitbekommen, dass die als Allererste spielten und hatten alle überhaupt keinen Bock auf Reggae. Aber juchu, das Logo von DANKO JONES wurde hochgezogen. Fein, haben wir die ersten also verpasst. Ich bin ja eh gegen mehr als drei Bands an einem Abend, und so liefen wir auf die Galerie, um von dort zu gucken. Da war zwar frische Luft, aber kein Platz. Also wieder runter. Keine frische Luft, aber dafür immerhin ein klein wenig Platz. Gesehen haben wir zwar kaum was, aber das braucht man bei dem Zidanko auch nicht. DANKO ist eh eine Erscheinung für sich. Der Typ hat die Coolheit gepachtet. Klar schmeisst er mit Klischees nur so um sich, aber der darf das auch. Eines seiner Vorbilder ist GENE SIMMONS, und während man über den eher mitleidig lächelt heutzutage, haut DANKO einfach noch eine Kerbe tiefer und überdreht alles völlig. Das muß man nicht mögen, kann es aber. Musikalisch hat er das gewohnte Rock´n Roll-Brett gefahren. Melodiöse Leckerbissen wie „First Date“, die zum Mitsingen anstiften, kriegen auch ein erschöpftes Publikum wieder fit. Zum Schluß grüßte er noch gen Himmel (oder so ca. jedenfalls) alle verstorbenen Musiker, und bei Eric Carr, der nächsten Tag seinen 15. Todestag hatte, war ich wirklich gerührt. Immerhin einer, der mal an den Drummer von KISS denkt...

Fazit Kat: Geiler Abend. Ohne Wenn und Aber. Es tat gut, sich mal wieder völlig austanzen zu können, wir haben viel gelacht. Und ich will GOGOL BORDELLO noch mal sehen!

www.antidotetour.com
www.dankojones.com
www.gogolbordello.com
www.discoensemble.com
www.bedouinsoundclash.com

Chris

Als Kind der 90er liebe ich Grunge und Alternative Rock – meine bevorzugten Genres sind aber Death, Groove, Dark und Thrash Metal. Ich kann Musik und Künstler schwer voneinander trennen und halte Szene-Polizisten für das Letzte, was Musik braucht. Cool, dass Du vorbeischaust!