Als gegen neun die Vorband Tchi zu spielen beginnt, bin ich beim mittlerweile dritten Bier angelangt, wünsche mir jedoch bereits nach wenigen Akorden, mindestens doppelt so viel intus zu haben: Diese Musik muss man sich nämlich schön trinken, um ihr überhaupt etwas abgewinnen zu können. Hamburger Schule eben. Von der miesesten Sorte. Da wird geholzt, genölt und geschrammelt, dass es eine Art hat, fallen formelhafte Satzfetzen wie „Als wir das Haus verließen...“, bla, „...heute Morgen aufgewacht...“, bla, „...das bisschen Leben zwischen...“, bla, bla, bla, intoniert mit einer Monotonie, die ihresgleichen sucht. Das ist Musik, die in die Beine geht – weil sie einem unmissverständlich nahe legt, das Weite zu suchen. „Na ja“, denke ich mir, „kann ja nur noch besser werden“, und fast bin ich dankbar, zehn Minuten am Bierstand anstehen zu müssen. Da kommt nämlich nur wenig vom ohnehin recht dünnen Sound an.
Eine schiere Wohltat, als dann nach vierzig qualvollen Minuten wieder die harmlose Konserve das Beschallungsruder übernimmt – so toll hat sich Musik vom Band noch nie angefühlt. Kurz darauf, man ist soeben wohlbehalten vom Herrenklo zurückgekehrt, geht es endlich los: Unter lautem Gejohle und frenetischem Abgefeiere betreten die Herren Kettcar die Bühne, verlieren ein paar knappe Worte über die zugegeben recht hässliche Location und legen dann auch gleich mit „Deiche“, dem Opener vom neuen Album, los. Das Publikum wippt artig mit, doch richtig Bewegung kommt erst in die über tausendköpfige Meute, als die Band „Academy“ hinterherschiebt, einen der heißgeliebten Burner vom Debut „Du und wieviel von deinen Freunden“. Nun geht es munter weiter mit einer Mischung aus altem und neuem Material, wobei es vor allem Dauerbrenner wie „Money Left To Burn“ oder „Balkon Gegenüber“ sind, die bei der abgehgeilen Menge die Nase vorn haben. Beim erstaunlich früh verbratenen „Landungsbrücken Raus“ liegt man sich sogar schwofend in den Armen, und ein Hauch von hippie-eskem ‚Wir sind alle eins’ weht kurzzeitig durch den Saal. Dagegen können die aktuellen Sachen leider nur schwer anstinken. „Langweilig“, beschweren sich zwei allzu adrette Typen hinter mir, während ein paar Meter weiter vorne der Reimer Burstorff – Fanclub lauthals den Namen seines Lieblingsbassers grölt. Hier zeigt sich schon mein größtes Problem des Abends: Ich stehe zu weit von den Boxen entfernt, um wirklich etwas von den Ansagen mitzubekommen, und die Musik ist viel zu leise, um das gelangweilte Gelaber der Desinteressierten übertönen zu können. Da will bei mir nicht so recht Stimmung aufkommen. Die Band gibt sich Mühe, spielt akurat und launig, doch auf der Hälfte des Sets beschleicht mich langsam die Gewissheit, dass man Kettcar eigentlich gar nicht live gesehen haben muss, um sie genießen zu können – sie klingen ja eh genau so wie auf CD, komplett mit Samples und allem Drum und Dran.
Eine gute Stunde ist vergangen, das Program ist durch und das weitgereiste Publikum fordert lautstark nach Zugaben. Es soll sich ja schließlich auch gelohnt haben. Vier an der Zahl werden es dann noch, darunter auch das bisher bewusst zurückgehaltene „Ausgetrunken“. Die Menge gibt jetzt noch mal so richtig Gas, was in ausgelassenem Stagediving beim besinnlichen „Im Taxi Weinen“ mündet – ein kontextueller Widerspruch, wie er irgendwie nicht typischer für diese Band sein könnte: Melancholie trifft auf Hymnenhaftigkeit. Die Formel eines jeden Kettcar-Songs.
„Wenn ihr meine Freunde sein wollt, singt ihr jetzt besser nicht mit“, droht Markus Wiebusch schließlich halbernst beim akustischen „Balu“, dem letzten Song dieses schönen, wenn auch nicht umwerfenden Abends. Ein kurzer Moment der betretenen Stille, dann werden brav die Feuerzeuge gezückt. Willkommen in der großen, verständnisvollen Kettcar-Familie: Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.
http://www.kettcar.net/
Bilder © BurnYourEars Webzine
Freitag, der 18. März 2005 – Tourauftakt der Hamburger Grundsympathen Kettcar im zentralen Hörsaalgebäude der Uni Göttingen. Erwartungsgemäß groß ist das Zuschauerinteresse an der Veranstaltung, stellt der Gig in unserem kleinen Provinznest doch zugleich auch den vorerst einzigen Abstecher der Band in südniedersächsische Gefilde dar; Grund genug, das ganze kurzfristig vom wesentlich kleineren JT in die geheiligten Hallen des geneigten Zielpublikums zu verlegen. Zumindest unter diesem Gesichtspunkt könnte es kein passenderes Umfeld geben. Soundtechnisch gesehen leider schon.
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