Das Festivalgelände – eine erste Bestandsaufnahme
Pünktlich um 15:30 Uhr öffnen sich die Tore zum liebevoll aufgebauten Festivalgelände. Mit zwei Bierbuden, an denen auch Longdrinks erworben werden können, einem zusätzlichen Cocktailstand, einem Grillstand (inklusive einer veganen Burger-Option), einer Pommesbude und einem Eiswagen bleiben kulinarisch keine Wünsche offen. Auch preislich gibt es keinen Grund zur Beschwerde: Das große Bier kostet 3 Euro, die Longdrinks (0,2l) gerade mal 2,50 EUR und die Cocktails sind mit durchschnittlich 6 EUR ebenfalls erschwinglich und gut gemischt.
Damit bei dem warmen Wetter auch die allgemeine Flüssigkeitsversorgung nicht zu kurz kommt, gibt es neben den günstigen Softdrinks für einen Euro auch noch eine kostenlose Trinkwasser-Stelle, an der der Becher selbstständig nachgefüllt werden kann. Dass im zugehörigen Becken zu gar nicht mal so später Stunde der eine oder andere Festivalbesucher die Ganzkörperabkühlung bevorzugt, kommt nicht unerwartet, aber gehört auch irgendwie einfach mit dazu.
Die Running Order verspricht lückenlosen Musikgenuss und wenn gerade mal keine Band spielt, die man sich gern anhören möchte, hat man die Möglichkeit, sich auf einer der schattigen Sitzgelegenheiten zu erholen, sich bei den Ständen von Sea Shepherd und RESQ über deren Arbeit zu informieren oder sich mit den kleinen Festivalbesuchern um einen Platz auf der Hüpfburg streiten – schade, aber vermutlich vernünftig, dass dieser bereits am frühen Abend die Luft abgelassen wird.
Rockiger Einstieg mit EINVACH FOLLGAS, 8KIDS und HONEYTRUCK
Los geht es kurz nach 16 Uhr mit der Cover-Formation EINVACH FOLLGAS. Ausgestattet mit einer aus Posaune und Trompete bestehenden Brass-Section und Multitalent Sophie Göken, die je nach Bedarf neben dem Gesang auch noch den Bass oder das Keyboard übernimmt, eröffnet die Formation aus Visbeks Nachbarort Molbergen mit Coversongs a la "Everybody needs Somebody" und "Rehab" das diesjährige Festival. Die Sonne lacht, der Sound ist gut und das Bier ist kühl – so darf es gern weitergehen. EINVACH FOLLGAS sind vielleicht keine Band, die man auf einem klassischen Metalfestival hören würde, aber bei der familiären Rock-Sommerfest-Atmosphäre in Visbek sind sie genau der richtige Opener.
Die Hauptbühne eröffnen dürfen direkt im Anschluss die 8KIDS aus Darmstadt. Das Trio um Jonas Jakob spielt nach eigener Aussage "Rock mit Geschrei" und diese Beschreibung trifft durchaus den Kern der Sache. Ausgestattet mit zwei Gitarren und dafür ohne Bass spielen die 8KIDS groovenden Rock, bei dem die Gesangssprache erst im Laufe des Sets als Deutsch erkennbar ist. Der Gesang als solcher dürfte tatsächlich gern ein bisschen lauter sein, hat die Band mit Songs wie "Kann mich jemand hören" und "Zeit" durchaus etwas zu sagen. Ansonsten gibt es aber an Show und Technik wenig bis nichts auszusetzen und das Festivalgelände beginnt sich zunehmend zu füllen.
Mit HONEYTRUCK aus Wildeshausen geht es danach auf der kleinen Bühne weiter. Ausgestattet mit einem lustig bemalten Drummer und Rockröhre Angelika Stelter am Gesang, bleibt es energie- und tempogeladen. Der Spaßfaktor bei Musikern und Publikum ist ähnlich hoch, die Songs sind abwechslungsreich und druckvoll arrangiert und auch das Soundniveau ist für ein Freiluftfestival weiterhin beeindruckend hoch.
Mit den ersten drei Bands des Tages machen die Festival-Veranstalter vieles richtig: Eingängiger, aber nicht eintöniger Rock, an dem vermutlich die meisten Besucher Gefallen finden – wer bei den 28 Grad im Schatten jetzt noch nicht auf Festival-Betriebstemperatur ist, dem ist auch nicht mehr zu helfen.
Dreimal Punk in den frühen Abendstunden: ANTILLECTUAL, SHIRLEY D. PRESSED und KMPFSPRT
Mit ANTILLECTUAL betritt nun die erste Punk-Band des Abends die Bühne. Abgesehen davon, dass Mikrofonchecks auf Niederländisch einen ganz eigenen unglaublich niedlichen Charme haben, überzeugen ANTILLECTUAL durch temporeichen und melodischen Punkrock und eine agile Bühnenperformance. Trotz praller Sonne versammeln die Besucher sich zahlreich vor der Bühne und genießen sowohl das mitreißende Konzert als auch die erfrischende Dusche aus dem Wasserschlauch.
Im Anschluss übernehmen SHIRLEY D-PRESSED die kleinere der beiden Festivalbühnen. Auch das Quartett aus Hamburg liefert soliden Punkrock bei bestem Festivalwetter ab. Die Songs vom Debütalbum "Rust" locken einige Besucher von Hauptbühne und Bierstand weg und auch der Sound bleibt über den Tag hinweg auf erstaunlich hohem Niveau – wenn überhaupt dürfte es maximal ein bisschen lauter sein, aber ansonsten passt es einfach.
KMPFSPRT aus Köln scheinen einige Fans mitgebracht zu haben, denn vor der Hauptbühne ist es so voll, wie den ganzen Tag noch nicht. Auch der Auftritt der dritten Band im Punkrock-Bunde ist ein voller Erfolg: Egal ob Mainstream-Kritik im Song "Ich hör' die Single nicht" oder das passend durch "Nazis raus"-Sprechchöre gefeierte Statement gegen Rassismus in "Antithese" – KPMFSPRT verschmelzen dynamischen Punkrock mit durchdachten Texten und der Mix kommt an: Im Kunstregen aus dem Wasserschlauch wird getanzt, gepogt und gefeiert.
Zeitreise mit MOUNT ATLAS
Bei den Lokalmatadoren von MOUNT ATLAS fühlt man sich bereits bei den ersten Akkorden schlagartig um gute 30 Jahre in die wilden Siebziger zurückversetzt – nur um sich direkt danach seines eigenen Alters bewusst zu werden und festzustellen, dass man da wohl eher nochmal gute 15 Jahre drauflegen muss, um in die Ära von Hammond Orgel und Schlaghose zurück zu gelangen.
MOUNT ATLAS sehen so authentisch aus, wie sie klingen und bei den Songs hätte man auch 1972 schon Blumenkränze flechten, Hotelzimmer zerstören, Gitarren mit der Zunge spielen (um sie danach in ihre Einzelteile zu zerlegen) und sämtliche weiteren Hardrock/Hippie/Woodstock-Klischees ausleben können. Spätestens bei den Coverversionen von URIAH HEEPs "Easy Living" und dem BLACK SABBATH Klassiker "Paranoid" ist die Zeitreise-Illusion perfekt und man fragt sich wirklich, ob die Kalenderfunktion am Handy das richtige Jahr anzeigt.
Schade, dass es sich beim "Visbek Rockt!" um den letzten Auftritt von Bassist Thomas Greenway handelt – MOUNT ATLAS sind definitiv meine Neuentdeckung des Abends und ich freue mich auf das neue Album und hoffe auf einen baldigen Ersatz am Viersaiter.
Zum Kern der Sache mit TO THE RATS AND WOLVES und MALCOLM RIVERS
Es ist Zeit für die beiden Core-Bands des Abends. Los geht es mit den Jungs von TO THE RATS AND WOLVES aus Essen, die den Trancecore-Slot abdecken und nach eigener Aussage die "Partyfraktion des Abends" darstellen. Nun bin ich für dieses Subgenre wahlweise zu alt, zu traditionell-metallisch eingestellt oder beides – der Mix aus Autoscooter-Eurodance-Nostalgie der frühen Neunzigerjahre, verzerrten Gitarren und Growls überfordert mich initial mehr, als nur ein bisschen ... zu poppig, zu viel Synthesizer, zu stylisch.
Abgesehen davon, dass ich mit dieser ersten Einschätzung allein auf weiter Flur dastehe und das weitere Publikum den selbsternannten "Wendlern des Metalcore" vom ersten Song an aus der Hand frisst, geschieht im Laufe des Sets etwas Seltsames: Die Kombination aus strahlendem Sonnenschein, poppigen Melodien, die in Sachen Ohrwurmpotential am Thron von ALESTORMs "Fucked with an Anchor" kratzen, einem wildgewordenen Publikum und einem Haufen grundsympathischer Ruhrpottjungs, die jede Sekunde auf der Bühne sichtlich genießen, fängt an, so richtig Spaß zu machen. Und auch wenn Songs wie "Suburban Romance" und "Riot" es vielleicht nicht unbedingt in die persönliche Playlist schaffen, auf Festivals werden TO THE RATS AND WOLVES bei gutem Wetter ab jetzt auf jeden Fall mitgenommen.
Direkt im Anschluss sind MALCOLM RIVERS aus Münster für die eher brachiale Metalcore-Variante verantwortlich. Sänger Andi ist ganz offenbar mit der Größe der Nebenbühne nicht ganz zufrieden, verlagert er den Großteil seines Auftritts doch in den Publikumsbereich. Da fliegt das Mikrofon dann zwischendurch mal in die Höhe und der eine oder andere Besucher wird angemosht. Und spätestens wenn er zu simultanem Singen und Crowdsurfen übergeht, verflucht man als Konzertfotograf die DSGVO noch ein kleines bisschen mehr. Für jemanden wie mich, dessen bisherige Berührungspunkte mit allem, was "Core" im Namen hat, eher überschaubar sind, machen Songs wie "Karmageddon" und "Drown In Truth" Lust darauf, mehr als nur den großen Zeh in die wilden Core-Gewässer auszustrecken.
Zeit für den Headliner: MR. IRISH BASTARD
Als Headliner für das diesjährige Festival konnten MR. IRISH BASTARD gewonnen werden. Irish Folk Punk geht irgendwie fast immer und passt auch in fast jedes Festival-Billing, dementsprechend macht man mit dieser Bandauswahl nicht viel verkehrt. Nachdem gerade KMPFSPRT und TO THE RATS AND WOLVES die Stimmungs-Messlatte extrem hoch gelegt haben, gelingt es MR. IRISH BASTARD nur knapp, das bisherige Partyniveau zu halten.
Die Kombination aus Punk, Tin Whistle und Akkordeon macht per default Spaß und Songs wie "I Hope They Sell Beer In Hell" (der sicherlich den meisten Festivalbesuchern aus der Seele spricht) und "Pirates Of The Irish Sea" gehen gleichermaßen ins Ohr und in die Beine. Mir persönlich fehlt allerdings noch ein bisschen das Alleinstellungsmerkmal, mit dem die Münsteraner sich von den mittlerweile gar nicht mehr so rar gesäten Folk Punk Bands abgrenzen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden und auch so sind MR. IRISH BASTARD in Sachen Stimmung immer eine sichere Wahl.
Mit ABSTURTZ gibt es danach auf der Nebenbühne noch einmal eine Runde Deutschpunk für die mittlerweile nicht mehr so zahlreich anwesenden Festivalbesucher. Es scheint, als sei nach dem Headliner für die meisten Schluss gewesen, was schade ist, denn auch ABSTURTZ spielen ein solides und unterhaltsames Set, das ich mir aufgrund erster Müdigkeitserscheinungen allerdings auch in großen Teilen aus der Ferne anhöre.
DESERTED FEAR – Die "Quotenmetaller" aus Thüringen
Zwischen Hardrock, Punk und diesem neumodischen Core wirken die Death Metaller von DESERTED FEAR auf den ersten Blick mehr, als nur ein wenig deplatziert. Die Riffs sind bei aller Brutalität zwar immer noch eingängig, aber es hat schon seinen Grund, dass bei den Thüringern kein "Melodic" vor dem "Death Metal" in der allgemeinen Genreklassifizierung steht. Der Teil des Publikums, der sich nach dem Headliner noch nicht auf den Heimweg gemacht hat, scheint aber, als hätte er nur auf das Quartett aus Eisenberg gewartet.
Und DESERTED FEAR enttäuschen nicht: Nach einem leicht verkürzten "You give love a bad name"-Intro – der Preis für den besten Intro-Song des Abends geht trotzdem an TO THE RATS AND WOLVES mit "Blue da ba dee" von Eiffel 65 – legen sie brachial-riffbetont mit "The Fall of Leaden Skies" vom aktuellen Album los und geben bis zum obligatorisch-finalen "Bury your Dead" Vollgas. Die kurzen Verschnaufpausen während der Songs werden wie gewohnt mit charmant-provokanten Moderationen (dieses Mal waren das "ganz schön katholische Dorf" und diverse Basketball-Feindschaften die bevorzugten Themen) im besten Thüringer Dialekt gefüllt.
Bei DESERTED FEAR passt das Gesamtpaket: Die Songs sind gut abgemischt. Bei der Lichtshow lassen sich tatsächlich mal Musiker auf der Bühne erkennen. Niemand bangt so schön, wie Gitarrist Fabian Hildebrandt und bei Manuel Glatters breitbeiniger Death-Metal-Powerpose kann es nicht mehr lange dauern, bis er das Set komplett im Spagat spielen kann. Danke, DESERTED FEAR – ich freue mich aufs nächste Mal!
Festival vorbei – es geht zurück in den ALLTAG
Den Deadliner-Slot belegen ALLTAG – und auch hier beweisen die Festivalveranstalter ein glückliches Händchen. Wahlweise in ausrangiertes Uniformjackett oder glitzernde Bomberjacke bekleidet, spielen ALLTAG Ravepunk, ein bis dato mir unbekanntes Musikgenre. In Abhängigkeit davon, ob man als Besucher an dieser Stelle den persönlichen alkoholischen Ravepunk-Break-Even-Point erreicht hat oder nicht, ist der erste Akkord entweder das Signal zum Eskalieren oder für den Heimweg. Für mich persönlich war zweiteres der Fall und es geht nach einer ebenso anstrengenden wie schönen Festivalpremiere zurück ins Hotel.
Visbek rockt? - Visbek rockt! ... ein kurzes Fazit
"Visbek rockt!" ist ein kleines aber sehr feines Festival, das seine Besucher mit einer abwechslungsreichen Bandauswahl, einer günstigen Preisgestaltung (im Vorverkauf kosten die Tickets 6 bis 16 Euro, je nach Alter des Besuchers und Bestellzeitpunkt) und einer sehr familiären Atmosphäre anlockt – eine klare Empfehlung für alle, die sich entspannt auf die neue Festivalsaison einstimmen wollen!