Geschrieben von Donnerstag, 15 April 2021 14:55

Endseeker: Interview zum Album "Mount Carcass"

ENDSEEKER aus Hamburg ENDSEEKER aus Hamburg Foto: Metal Blade

Anderthalb Jahre nach “The Harvest” hat die Hamburger Death-Metal-Band ENDSEEKER schon die nächste Scheibe fertig. Wir haben uns mit Shouter Lenny zum coronakonformen Spaziergang getroffen, um über die Entstehung von “Mount Carcass”, die digitale Releaseshow und Politik im Death Metal zu plaudern. 

Euer neues Album “Mount Carcass” kam für Außenstehende recht plötzlich. Lag das daran, dass ihr andere Pläne wegen der Corona-Pandemie über den Haufen werfen musstet? 

Ja, das stimmt. Es war einiges an Konzerten und Festivals geplant, die jetzt wegen Corona ausfallen mussten. Das war nicht schön, da hatten wir uns natürlich drauf gefreut. Zumal es uns so ging, wie allen anderen auch: Wir waren unsicher, was passiert – sterben wir jetzt alle? Aber irgendwann haben wir uns wieder aus unseren Löchern getraut und überlegt, was wir nun machen.

Eigentlich sollte das Album erst 2022 kommen, aber jetzt kommt es eben schon dieses Jahr. Ich bin sehr dankbar, dass wir zwei Gitarristen haben, die so gut Songs schreiben können. Zum einen Juri, der ENDSEEKER irgendwie zum Leben ... wie sagt man ... 

... aus der Taufe gehoben hat? 

Ja, das ist ein schönes Bild, das klingt harmonisch! (grinst) Bei der neuen Scheibe hat aber auch unser Gitarrist Ben vermehrt Songs geschrieben und Texte beigesteuert. 

Wie ist denn die Stimmung gerade bei euch? Ihr konntet zwar jetzt die Zeit für ein Album nutzen, aber ansonsten sieht es für Bands ja immer noch ziemlich finster aus. 

Erstmal zum Punkt Zeit: Wir mussten uns erstmal alle beruflich und familiär neu orientieren. Die Zeit, die man sich wünscht, hat man dann leider doch nicht so. Und was die Stimmung angeht: Wir freuen uns schon sehr. Die schönsten Momente, die ich im letzten Jahr hatte, waren im Studio. Da bist du eben alleine in deiner Kammer, hast die Musik auf den Ohren und kannst dir die Seele rausschreien. Das tat echt gut, da habe ich diese ganze Corona-Problematik nach hinten schieben können. Das hatte auch therapeutischen Charakter. 

Eure Release-Show am 18. April wird eine Streaming-Show. Freut ihr euch darauf, oder wie steht ihr dazu? 

endseekershow.jpg[ENDSEEKER spielen am Sonntag, 18. April, um 19 Uhr ihre Record-Release-Show im Hamburger Liveclub Knust. Tickets gibt es hier – entweder als Standard-Ticket oder als Special, das u.a. dazu berechtigt, die Band zum Schnapstrinken zu zwingen.] 

Als wir mitbekommen haben, dass die ersten Bands Streaming-Shows spielen, wollten wir das eigentlich nicht machen. Für solche Shows muss man eigentlich richtig spielen können. (lacht)

Ja, man kann immer nochmal zurückspulen, nicht wahr? 

Unsere Streamingshow kann man nach dem Gig noch 48 Stunden abrufen, danach verschwindet die in den ewigen Internet-Jagdgründen. Aber man kann eben alles raushören. Wir müssen also viel proben, und das ist unter den Corona-Bedingungen gar nicht so spaßig. Wir hoffen einfach, dass wir zu der Show alle gut drauf sind. 

Müsst ihr euch vor der Show testen lassen? 

Wir haben schon Termine für Schnelltests, und wenn die bei allen negativ sind, dürfen wir die Show spielen. Aber wenn einer von uns positiv ist, wird die Sache am Tag der Show abgeblasen. Deshalb sind wir alle etwas angespannt. Aber wir freuen uns natürlich, endlich mal wieder auf der Bühne stehen zu dürfen. 

Auch wenn es wohl komisch wird, ohne Publikum. 

Ja – bums, der Song ist vorbei und dann ist einfach Stille. Ich glaube, da muss ich mir ganz schön auf die Zunge beißen, keinen ironischen Slowclap einzubauen. Wir haben uns für die Pausen zwischen den Songs aber ein bisschen was überlegt. 

Du hattest vorhin gesagt, dass diesmal auch Ben Texte beigesteuert hat ... 

Dafür bin ich sehr dankbar, denn ich hatte mit Beginn der Pandemie auf einmal nur noch sehr wenig Zeit. Mein kreatives Reservoir war aufgebraucht, was frustrierend war. Ben sagte dann, dass er Kapazitäten und ein paar Dinge auf dem Herzen hat. Wir haben das also aufgeteilt. Ich finde seine Texte auch richtig, richtig gut. 

Habt ihr unterschiedliche Herangehensweisen? 

Bei mir ist die Botschaft eher versteckt und das Skurrile steht im Vordergrund. Sowas haben wir auf “Mount Carcass” auch wieder. Ben drückt eher den Daumen in die Wunde, so wie bei unserer aktuellen Auskopplung “Count The Dead”. Der Text ist von ihm. 

Ein ungewöhnlich politischer Song! 

Ja, wir haben auch vorher diskutiert, ob wir das so raushauen können. Der Text spricht uns aber allen aus der Seele. 

Bei dem Lyric-Video zu “Count The Dead” ist die Kommentarfunktion bei YouTube deaktiviert. Zu politisch? 

Wir wollten vermeiden, dass in den Kommentaren groß rumgehatet wird oder sich die Leute gegenseitig die Köpfe einschlagen. Wir wollten unsere Message abliefern, aber keine große Diskussion starten. Unter dem Video gibt es noch ein Statement von uns, womit sich die Leute zu unseren Beweggründen informieren können.

Wir sind aber positiv überrascht über das Daumen-Verhältnis bei YouTube, wir hätten mit mehr Daumen nach unten gerechnet. Das stimmt uns positiv. 

Ich kann nachvollziehen, dass ihr euch den Stress mit solchen Kommentaren nicht geben wollt und die Funktion deaktiviert habt. Aber eigentlich auch schade, dass das sein muss. 

Bei Facebook gab es die Möglichkeit zu kommentieren. Da gab es ein paar in die Richtung, “Ey, Metal Blade, müsst ihr den Lefties hier eine Stimme geben?”. Das waren aber tatsächlich wenige. Wir haben eher viel Feedback bekommen von Leuten, denen der Text aus der Seele spricht. Es musste halt einfach raus.

Außerdem: Wenn wir das als Death-Metal-Band nicht machen können, wer denn sonst? Wir haben doch inhaltlich alle Freiheiten in dem Genre. 

Die Frage ist wohl, wie politisch Death Metal aus Sicht einer Szene sein darf. 

Die Leute, denen das nicht gefällt, sollen halt was anderes hören. Wir sind in dem was wir tun, authentisch. Und wenn wir Bock haben, einen politischen Song zu schreiben, dann machen wir das eben. In erster Linie machen wir die Musik ja für uns. 

Die Haltung, dass Politik im Metal nichts verloren hat, finde ich persönlich auch ziemlich dämlich und gefährlich. Auch wenn es im Death Metal solche Auswüchse nicht gibt, muss man sich ja nur mal die Black-Metal-Szene ansehen um zu merken, wohin das führt. 

Genau. Zum Teil werden Szenen richtiggehend unterwandert, es gibt ja sogar Nazi-Hip-Hop! Black Metal ist nochmal eine andere Geschichte ... Vielleicht haben die Norweger, Polen oder Inder aber auch einen anderen Bezug dazu als wir. 

Habe ich deine Frage eigentlich beantwortet? Ich glaube nicht, oder? 

Ich habe eigentlich keine Frage gestellt, sondern nur ein Statement gemacht. 

Ach ja, stimmt. Naja, der Dialog ist wichtig. Genau deswegen ist es ja auch gut, dass wir diesen Song geschrieben haben, weil wir jetzt darüber reden und zu dem Schluss kommen: Es ist blöd, Politik aus der Szene rauszuhalten. 

Apropos politische Musik: Ist euer Coverartwork an NAPALM DEATHs “Scum” angelehnt?  

Für das Coverartwork hatten wir von verschiedenen Künstlern Entwürfe bekommen. Die waren cool, aber noch nicht richtig die Faust aufs Auge. Und dann kam unser Gitarrist Ben mit diesem Entwurf um die Ecke, den ein Kumpel von ihm gemacht hatte. Auch wir hatten den NAPALM-DEATH-Bezug im Hinterkopf, aber der ist dann doch so gering, dass das Artwork auch zu uns passt.

Was besonders cool ist: Da sind ganz viele versteckte Zeichen drin, Dinge aus den Texten. So ist das Artwork eine Visualisierung des gesamten Albums. 

Dann habe ich mit der Parallele zu NAPALM DEATH den politischen Bezug vielleicht überinterpretiert. 

Naja, es sind ja auch politische Züge drin. Und eine gewisse punkige, crustige Note wollten wir dem Ganzen auch verleihen. 

Ihr habt ja auch einen etwas anderen Sound als vorher. Immer noch klar Death Metal, aber ein bisschen Punk und Crust ist drin. 

Auch darüber haben wir viel diskutiert. Beim Songwriting-Prozess von unserem letzten Album “The Harvest” hatte sich Juri fast an den Rand des Burnouts geschrieben, auch, weil er so ein detailversessener Typ ist. Deshalb hatte er gesagt, dass die nächste Scheibe erst 2022 kommt, damit er sein kreatives Reservoir wieder auffüllen kann.

Dann kam es doch anders, und deshalb hatten wir vereinbart: Wir machen uns nicht verrückt, sondern schreiben locker aus dem Bauch raus. Wir reduzieren uns auf das, was wichtig ist, und lassen einfach die Songs sprechen. 

Leicht gesagt – reduzierte Songs zu schreiben ist ja eigentlich schwieriger, als überall noch Triller und zusätzliche Elemente einzubauen. Je mehr Gedöns drin ist, desto besser kann man etwas schwächere Parts kaschieren. 

Das stimmt. Da mussten wir uns auch ein bisschen überwinden. Aber letztlich hat es gut geklappt. 

Der Coversong ist bei euch ja schon Tradition. Diesmal habt ihr euch das Thema des Films “Escape From New York” vorgenommen. Wie kam es dazu, zumal du bei diesem Instrumentalstück gar keine Rolle hast? 

Das hat zumindest dazu geführt, dass ich ihn als erster beherrscht habe – den Song konnte ich auf Anhieb! (lacht) Eigentlich wollten wir diesmal gar kein Cover, sondern nur unsere Songs für sich sprechen lassen. Aber Ben hat auf dem Thema schon länger rumgejammt und uns gefragt, ob wir uns das vorstellen können. Wir fanden es alle geil.

Zufällig ist dieses Jahr auch das 40-jährige Jubiläum des Films. Und auch von der Stimmung passt es eben genau zu dem Album. Wer den Film kennt – und wer ihn nicht kennt, sollten ihn sich unbedingt anschauen –, kennt diese Endzeitatmosphäre. Und diese Dystopie des Überwachungsstaats ist ja mittlerweile gar nicht mal so weit weg. 

Ich habe noch eine letzte Frage speziell an dich. In Videos, auf Fotos und auch auf der Bühne habe ich dich noch nie in einem Metalshirt gesehen. Hast du da keinen Bock drauf? 

(Macht seine Jacke auf) Ich muss mal kurz gucken... Ich habe das Shirt vom Bavarian Battle Festival an – immerhin etwas! Tatsächlich trage ich keine Metalshirts auf der Bühne. Auch da finde ich die Reduzierung gut, es gibt auch so genug zu sehen und zu fühlen. Aber privat trage ich schon Metalshirts, habe aber nicht so viele. 

Du machst auf der Bühne ja auch viel mit Mimik, vielleicht würde ein bedrucktes Shirt dann eher ablenken. Von daher kann ich den reduzierten Gedanken schon nachvollziehen. 

Es ist auch der Kontrast, der erst Wirkung entfaltet, wenn er groß genug ist. Ich bin eben kein volltätowierter, langhaariger Schrank. Wir lassen uns unsere Originalität und unseren Stil. Auch da wollen wir der Authentizität den Vorrang lassen. Wir sind einfach wie wir sind. 

Helge

Stile: Doom Metal, Black Metal, Post Rock, Stoner, Prog

Bands: My Dying Bride, Opeth, Nachtmystium, Saint Vitus, Genesis