Geschrieben von Montag, 11 August 2014 20:54

Wacken Open Air 2014 - Der Festivalbericht

Wacken Open Air 2014 Wacken Open Air 2014 Alle Bilder © Veronika Pramor / BurnYourEars
Und plötzlich ist es auch schon vorbei: das 25. Wacken Open Air. Frisch geduscht und sonnengebräunt sitze ich auf meinem Sofa und tippe die ersten Zeilen am Laptop. Ein bisschen verloren fühle ich mich ja schon in dieser sauberen Wohnung, so ganz allein. Jedes Jahr aufs Neue habe ich nach den ausgelassenen Tagen auf dem heiligen Acker das spontane Bedürfnis, eine große WG mit allen Zeltnachbarn zu gründen, muss mir ständig auf die Lippe beißen, um keinen bierseligen Spruch in der U-Bahn zu grölen und fühle mich im Büro wie ein Fremdkörper. Aber fangen wir von vorne an. 

Zuerst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass es auf einem derart großen Festival wie dem W:O:A nicht möglich ist, sich ALLE Bands anzusehen. Ihr kennt es selbst. Zwischendurch wird man auch mal von solch absonderlichen Bedürfnissen wie Essen, Schlafen oder Duschen davon abgehalten, vor der Bühne zu stehen. Dazu kommt noch, dass es bei sieben Bühnen mit Parallelprogramm schlichtweg physikalisch unmöglich ist, sich überall gleichzeitig aufzuhalten. Ich hoffe, für euch eine gute Auswahl getroffen zu haben.

Es ist Mittwoch, der 30.07.2014 – der Tag, auf den ich und rund 75.000 weitere Metalheads seit Wochen, ach was, seit Monaten hinfiebern. Das Programm ist heute noch überschaubar spektakulär, so dass die meisten die Zeit nutzen, um sich auf den Campgrounds einzurichten, neue Freundschaften mit Nachbarn aus aller Welt zu schließen und das ein oder andere Begrüßungsgetränk zu sich zu nehmen. Das Motto "Freu dich, du bist in Wacken!" wird allerorts gut umgesetzt.

Gegen Abend schlendere ich mit meinen diesjährigen Mitstreitern (im folgenden "Camp Chaos" genannt) über das Gelände, um mich zu orientieren. Auf dem Infield wird noch fleißig auf das am nächsten Tag anstehende Door Opening hingearbeitet. Das Wackinger Village hingegen ist schon jetzt gut gefüllt mit feierfreudigen und durstigen Gästen. Die Stimmung ist, auch aufgrund des fantastischen Wetters, gelöst.

Davon profitieren auch VOGELFREY, die zu Anfang nicht das geringste Problem damit haben, die Meute vor der Bühne zum Mitklatschen und Mitsingen zu bewegen. Doch leider hält die anfängliche Euphorie nicht lange an, sodass die Fans nach einiger Zeit nur noch nach Aufforderung während der Songs mitklatschen. Auch ein Liedchen vom kommenden Album hilft da kaum und VOGELFREY gehen nach kurzer Zeit wieder von der Bühne. Immerhin mit einigen Zugabe-Rufen im Gepäck.

Dafür erfreut sich die WASTELAND STAGE dieses Jahr großer Beliebtheit. Der Endzeit / Steam Punk Bereich ist erst seit kurzem Teil des Festivals und bietet den Besuchern ziemlich abgefahrene Shows von den Dark Wavern RABBIT AT WAR und MEGABOSCH, inklusive Feuerfontänen und nackter Haut. Camp Chaos schwärmt noch heute von der blonden Stripperin Honey.

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Donnerstag 31.08.2014 

Heute geht es richtig los. Door Opening des Infields um 14:00 Uhr. Es ist immer wieder beeindruckend, das erste Mal das Gelände zu betreten, an dessen Ende zwei riesige Bühnen gen Himmel ragen. Die BLACK STAGE und die TRUE METAL STAGE, deren Namen nicht unbedingt Programm sind – oder wie Black Metal soll Comedian Bülent Ceylan sein?

Ich riskiere ein Ohr beim diesjährigen Opener SKYLINE, in der früher Festivalgründer Jensen den Bass spielte. Die ortsansässige Coverband, die Hits wie "Black No. 1" von TYPE O NEGATIVE und "Engel" von RAMMSTEIN im Gepäck hat, kann zwar einen Teil des Publikums zum Singen und Kopfnicken animieren, aber so richtig zündet es noch nicht.

Buehne-wacken-2014

Das ändert sich aber spätestens um 18:00 Uhr bei HAMMERFALL. Der Vorhang fällt und gibt den Blick auf die schwedischen Power Metaller frei. Ohne Umschweife machen sich diese ans Werk, ihr Publikum mit "Child of the Damned" und "The Metal Age" zu begeistern. Es funktioniert. Zehntausende recken die Fäuste in die Luft, aber ich kann mir nicht helfen: irgendwie klingt der Gesang von Joacim Cans ziemlich schief. Es ist schwierig auszumachen, ob das jetzt ein technisches oder doch ein stimmliches Problem ist.

Ist aber auch völlig egal, denn spätestens bei alten Klassikern wie "HammerFall" und „Blood Bound" bin ich voll dabei und singe lauthals mit. Als die Band sich mit "Hearts on Fire" verabschiedet, bin ich auf jeden Fall zufrieden. Mehr aber auch nicht. Das neue Album "(r)Evolution", welches am 27.08.2014 erscheint, wird es wohl nicht in mein CD-Regal schaffen.

Nach und nach finden sich immer mehr verrückte Perückte mit knallbunten Leoleggings im Infield ein, und kamerafreudige Mädels lösen schon mal ihre BH-Häkchen. Der Grund dafür sind natürlich die strahlend schönen Glam Metaller von STEEL PANTHER. Was die Herren bei ihren Fans auslösen, ist immer wieder faszinierend. Sänger Michael Starr muss nur einmal "Boobies!" ins Mikro brüllen und gefühlte 100 Frauen, auf den Schultern ihrer grinsenden Freunde sitzend, machen sich obenrum frei und versuchen mit der Kamera zu flirten, was unterschiedlich gut gelingt. 

Mit Texten, die Alice Schwarzer in die Ohnmacht treiben würden, rocken sich die gar nicht prüden US-Amerikaner durch ihr Set und ein Highlight jagt das nächste. Dabei wird das balladige "Just like Tiger Woods" ebenso textsicher mitgesungen, wie die Ohrwürmer "Gloryhole" und "Death to all but Metal". Aber egal, welche Hits ausgepackt werden, wer schon mal bei einer STEEL PANTHER Show war, weiß, dass es am Ende einen besonderen Programmpunkt gibt, welcher natürlich auch – und gerade – auf dem Wacken nicht fehlen darf.

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Michael Starr lässt die Bühne bei "Party all Day (fuck all Night)" von zeigefreudigen Damen stürmen. So wild wie heute habe ich diese Einlage allerdings noch nie gesehen. Nicht nur, dass diverse Freiwillige mal wieder blank ziehen (was mittlerweile fast schon langweilig wird). Nein, sie knutschen sich gegenseitig ab und machen auch vor den Musikern nicht halt. Starr und Kollegen scheinen selbst ein wenig überrascht aufgrund der heftigen Reaktionen der mehr oder weniger holden Weiblichkeit. Fazit: richtig geile, mitreißende Show, die unfassbar viel Spaß gemacht hat. STEEL PANTHER sind einfach geborene Entertainer. Schrill, bunt, laut und nebenbei auch irgendwie sexy.

Später am Abend kommt die Band, die im Vorfeld für gemischte Gefühle sorgte. Die Wacken-Organisatoren hatten lange Zeit von einem geheimen Headliner gesprochen und damit Raum für Spekulationen und hohe Erwartungen geschaffen. Als dann vor wenigen Wochen rauskam, dass es sich bei der geheimen Band um ACCEPT handelt, waren einige enttäuscht. Doch der Groll scheint verflogen und so ist das Infield auch prall gefüllt, als der Vorhang fällt.

ACCEPT warten mit einem perfekt abgestimmten Sound auf und beschallen das Publikum mit ihrem typischen Heavy Metal Klang. Zur freudigen Überraschung sind kaum Crowdsurfer unterwegs, sodass man die Deutschen Metal Giganten ohne viele Unterbrechungen belauschen kann. Die Freude in den Augen der Band und der Besucher ist für jeden sofort ersichtlich und besonders treue Fans freuen sich, ihre Helden endlich einmal live sehen zu können, denn man weiß ja nie, wann sich ACCEPT das nächste Mal „endgültig auflösen“.

Freitag 01.08.2014

Ein Blick auf die Running Order verrät: heute gibt es keine Zeit zum Verschnaufen. Denn viele lohnenswerte Bands geben sich heute die E-Gitarre gegenseitig in die Hand.

Den Anfang machen SKID ROW. Die Hardrocker haben ihre erfolgreichsten Jahre schon eine Weile hinter sich. Nachdem sich Band und damaliger Fronter SEBASTIAN BACH 1996 trennten, konnten sie nie wieder an den Glanz vergangener Tage anknüpfen. Trotzdem sind SKID ROW bis heute eine gern und gut gebuchte Liveband.
Auch auf dem Wacken können sie weitgehend überzeugen. Es fällt allerdings auf, dass alte Stücke wie "18 and Life" "Youth gone wild" und "Monkey Business" deutlich lauter mitgesungen werden, als neuere. Die Band selbst scheint das genau zu wissen. Denn von den beiden aktuellsten Alben "Revolutions per Minute" und "Thickskin" wird nur ein einziger Song gebracht. Davon einmal abgesehen, ist es ziemlich beeindruckend, wie viele Menschen aller Alters- und Gewichtsklassen sich um 11:55 Uhr, quasi mitten in der Nacht, vor die Bühne begeben haben, um die SKID ROW zu sehen. 

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Überhaupt ist es dieses Jahr gefühlt deutlich voller als 2013. Oder sind einfach alle früher aufgestanden, weil sie die Hitze in den Zelten bei erbarmungslos brutzelnder Mittagssonne nicht mehr ausgehalten haben?

Um einem Sonnenstich zu entgehen, finde ich mich kurze Zeit später im Zelt vor der HEADBANGER STAGE ein, um mir NEOPERA anzuhören. Eine Band, die mir bis jetzt nicht viel sagte, aber heute ist der Sänger der Hamburger Modern Symphonic Dark Metal Band AEONS CONFER dabei. Und der hat es einfach mal mächtig drauf.

Noch bevor die Band mit dem ersten Song beginnt, richten sich alle Augen auf Nina, die hübsche Sängerin mit den feuerroten Haaren. Daneben geht ihr Kollege am Mikro in seinem schnieken Anzug optisch völlig unter. Stimmlich überzeugen können dann aber beide. Klassischer Operngesang in Verbindung mit elektrischen Gitarren und einem mächtigen Schlagzeug ist immer eine gewagte Mischung, die schnell auch mal schiefgehen kann, aber NEOPERA gelingt der Spagat zwischen den Welten bravourös.

Ein zusätzliches Highlight ist Gastgrowler Bernhard. Der 2-Meter-Hüne mit den kräftigen Oberarmen überragt die beiden anderen Mikrofoninhaber deutlich und dominiert die Bühne mit seiner Präsenz. Operngesang und voluminöse Growls wechseln sich ab und vermischen sich. Leider hat der Tonmann nicht die optimale Einstellung gefunden, so dass die gesamte Gesangsfraktion einige Dezibel zu leise ist und nicht ihr volles Potenzial entfalten kann. Trotzdem, wer auf Symphonic Metal steht, sollte hier mal ein Ohr riskieren.

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Parallel spielen die Ulkmetaller KNORKATOR auf der Party Stage und müssen dabei gegen ENDSTILLE ankämpfen, die auf der Black Stage ihren Anhängern Tribut zollen. Mit Songs wie „Alter Mann“, „Du Nicht!“ oder „Arschgesicht“ versuchen die Spaßmacher ihre Zuhörerschaft zu begeistern. Allerding mit eher mäßigem Erfolg. Die ungeheure Hitze und der penetrante Sound von ENDSTILLE stören das Publikum sichtlich, sodass nur in den vorderen Reihen gute Stimmung aufkommt. Weiter hinten jedoch sind die Fans eher enttäuscht, auch wenn KNORKATOR ihr Bestes geben und einen super Auftritt abliefern.

Ein Umweg zur TRUE METAL STAGE führt Camp Chaos und mich durchs Wackinger Village. Hier gibt es das beste Essen des ganzen Festivals. Wer noch nie eine HANDBROTZEIT gegessen hat, sollte das unbedingt auf die To-Do-Liste seines Lebens setzen. Echt mal, die Dinger sind saulecker! 

Gut gestärkt geht es also weiter dem Ziel entgegen. Bei FIVE FINGER DEATH PUNCH ist es erwartungsgemäß sehr voll und weiterhin sehr heiß. Dafür ist der Sound bei diesem Auftritt exzellent. Ivan Moodys Stimme könnte auch direkt von einer CD kommen, ein großer Unterschied ist zumindest nicht erkennbar. Außerdem scheinen die Musiker bester Dinge zu sein, denn die Ansagen zwischen den Songs sind, anders als ich erwartet hätte, sehr auf das Wohlergehen der Festivalbesucher bedacht. Man solle genug trinken bei der Hitze und aufeinander achtgeben. Immer wieder schön, wenn harte Kerle ihre weiche Seite zeigen. Nach dem thematisch leicht gegensätzlichen "Burn MF" entschließe ich mich trotzdem, eine kleine Pause einzulegen und der Getränkeempfehlung nachzukommen.

BRING ME THE HORIZON schaue ich mir dann vom Pressebereich aus an. Dafür gibt es drei Gründe. 1. Gibt es hier Schatten und ich habe zunehmend das Gefühl, dass mir mein Gehirn weichkocht, wenn ich noch länger in der Sonne stehe. 2. Sind die Wartezeiten an den Bierständen deutlich geringer und 3. sind BRING ME THE HORIZON jetzt nicht so ganz meine Band.

Davon mal abgesehen, bin ich positiv überrascht von der Performance. Die Engländer geben von Anfang an Vollgas und starten direkt mit einem Presslufthammer namens „Shadow Moses“. Wie Flummies springen die Musiker über die Bühne. Mit Ausnahme von Schlagzeuger Matt Nicholls, der aus verständlichen Gründen an sein immobiles Instrument gebunden ist. Bei „Can you feel my Heart“ wird es wild in den ersten Reihen der Menschenmenge. Menschen rennen, springen und recken die Arme in die Höhe.

Trotzdem scheint es mir so, als würde der Funke nicht komplett überspringen. Und auch Freunde, die sich nicht von der Sahara-Sonne haben vertreiben lassen und das Konzert direkt sehen, bestätigen später, dass ich mit dieser Vermutung nicht ganz Unrecht habe. Von meiner Seite aber auf jeden Fall ein Achtungserfolg. Ob man die Metalcore-Bande jetzt mag oder nicht, sie haben bis zum Ende alles gegeben und verabschieden sich von ihren Fans mit ihrem größten Hit „Sleepwalking“.

Und weil es so schön war, geht es fröhlich weiter in Sachen Metalcore. Auf der TRUE METAL STAGE spielt eine Band, deren Anfahrtsweg überschaubar weit war. Die Thüringer HEAVEN SHALL BURN gehören zu den wichtigsten und besten Vertretern des deutschen Metalcore. Der Andrang auf die besten Plätze ist also wieder groß.

Erneut frage ich mich, ob die Veranstalter nicht doch noch mal 10.000 Tickets mehr unter der Hand verkauft haben, in der Hoffnung, dass es niemandem auffällt. Als ich mich endlich durch die Herde schwitzender Menschen an einen Platz vorgekämpft habe, von dem aus ich gut sehen kann, ist die Show bereits in vollem Gange. Wobei an dieser Stelle angemerkt sei, dass das Wort „vorgekämpft“ beim Wacken völlig falsch ist. Wie schon in den vergangenen Jahren sind die Besucher in der Regel sehr rücksichtsvoll und machen sogar Platz, wenn man weiter nach vorne möchte. Es sind nur so verdammt viele, dass dieser Vorgang ziemlich viel Zeit in Anspruch nimmt.

„Combat“ ist daher der erste Song, den ich ohne Ablenkung mitbekomme. Und auch hier muss ich wieder ein Lob an die Technik aussprechen: richtig fetter Sound. Und auch Christian Bass, der neue Mann am Schlagzeug, der aufgrund gesundheitlicher Probleme seines Vorgängers Teil der Band wurde, schlägt sich erstklassig. Nebelfontänen und Feuersäulen unterstützen die Wirkung zusätzlich. Die Musiker selbst geben sich – bis auf Sänger Marcus Bischoff – aber eher bewegungsarm. Trotzdem verfügen HEAVEN SHALL BURN über eine große Bühnenpräsenz und reißen das Publikum das ganze Set hindurch mit. Egal ob „Godiva“ oder „The Martyrs' Blood“, viele Fans sind textsicher und singen laut mit.

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Und plötzlich betritt ein Überraschungsgast die Bühne. Es handelt sich um niemand geringeren als DAN SWANÖ, Produzentenlegende sowie Sänger und Schlagzeuger der legendären EDGE OF SANITY. Diese Band veröffentlichte auf dem Schweden-Deathmetal Klassiker-Album "Purgatory Afterglow" den Titel „Black Tears“, der später von HSB gecovert wurde. Jetzt stimmen Swanö und Bischoff in trauter Zweisamkeit den Klassiker an, für viele ein ganz besonderer Moment.

Konfetti bei SantianoFür Camp Chaos und mich folgt nun auch ein Highlight der ganz besonderen Art: Die Freibeuter der Meere SANTIANO haben Segel Richtung W:O:A gesetzt und die PARTY STAGE geentert. Klar, SANTIANO ist eher eine Spartenband und diverse Menschen in meinem Umfeld schütteln jedes Mal fassungslos die Köpfe, wenn ich ihnen erzähle, dass ich die Altherren-Band wirklich sympathisch und unterhaltsam finde. Mir egal, mein Opa hat schon im Shanty-Chor gesungen, so!
Schnell merke ich, dass auch andere dem Charme erlegen sind und fleißig die ohrwurmgefährlichen Texte mitgrölen. Bei „Auf nach Californio“ knallt es plötzlich wie von einer Schiffskanone und goldenes Konfetti regnet auf die jubelnde Meute.

In der Mitte des Sets offenbaren sich dann doch ein paar Längen, denn mit „Warten bis der Wind weht“ versuchen die sonst so spaßigen Seemänner auf einmal eine ernste, seriöse Seite zu zeigen. Singen bei schleppender, dunkler Musik über Pest und Tod – eine Facette, die ihnen, aus meiner Sicht, nicht gut steht. Ich wage mal die Behauptung, dass niemand SANTIANO hört, weil es sich um überragend gute Musiker handelt, oder weil die Texte so tief und berührend sind. SANTIANO haben ein einfaches Erfolgsrezept: Gute Laune, Authentizität und Texte, die man auch mit zwei Promille im Blut versteht.
Zum Glück besinnen sie sich nach diesem kurzen Ausrutscher wieder und singen bis zum Ende der Show wieder von Jan und Hein und Klaas und Pit, Rum und leichten Mädchen. Richtig so. Danke.

Parallel dazu spielen CHILDREN OF BODOM auf der BLACK STAGE und versuchen offenbar, MOTÖRHEAD den Titel als lauteste Band Wackens abzuringen. Selbst hartgesottene Metaller kramen ihre Ohrstöpsel aus der Kutte und schieben sie sich so tief in die Gehörgänge, wie es nur geht. Es ist wirklich schmerzhaft laut, sodass es kaum Spaß macht, Songs wie „Are you dead yet?“ oder „In your Face“ zu hören.
Der Auftritt von COB ist leider wie jeder andere der Band und kaum etwas Besonderes. Das einzig Positive ist, dass es durch die späte Stunde ein wenig kühler geworden ist und man nicht mehr das Gefühl hat, ein Sauerstoffzelt zu benötigen, sobald man mehr als drei Mal den Kopf vor und zurück bewegt.

Den anschließenden Auftritt von APOCALYPTICA streife ich nur kurz. Die drei finnischen Cellisten sind mit einem kompletten klassischen Orchester angerückt. Sowohl optisch als auch musikalisch sehr beeindruckend. Aber aufgrund der äußeren Umstände können sie mich jetzt gerade nicht in ihren Bann ziehen. Ich mag die Mischung aus Klassik und Metal ohne Gesang, die APOCALYPTICA bedienen, durchaus gerne. Aber auf CD bei einem Glas Wein – oder bei Nacht, mit brennenden Fackeln in einem Amphitheater – würde es sicher besser funktionieren.

Um 21:00 Uhr brennt die BLACK STAGE. Sie haben es tatsächlich geschafft: Wenn das Wacken ruft, stehen MOTÖRHEAD bereit. Aber richtig gut sieht LEMMY KILMISTER nicht aus. Undeutlich lallt er den Leitsatz der Band ins Mikro: „We are Motörhead, and we play Rock 'n Roll“. Das Publikum jubelt lautstark, aber innerlich wird sich der ein oder andere fragen, wie lange das noch gut geht.

Seit 39 Jahren steht Lemmy wie ein Fels in der Brandung, doch spätestens seit letztem Jahr gerät er ins Schwanken. Vor ihm auf dem Boden liegt ein riesiger Schlauch, der ihm Luft ins Gesicht pustet und den scheint er auch zu brauchen. Fast wie eine lebendige Statue wirkt der Sänger. Kein Schritt zu viel, kaum eine Kopfbewegung. Man muss leider sagen, dass man viele Songtexte nur noch erkennt, weil Lieder wie „Damage Case“ und „Over the Top“ mittlerweile Klassiker sind und man sie schon einige Male gehört hat. Aber er schlägt sich wacker und hält die kompletten 75 Minuten durch. Wir erinnern uns: Im letzten Jahr musste der Auftritt vorzeitig abgebrochen werden.

Bei „Killed by Death“ gesellt sich ein weiteres Urgestein des Metal zu den Briten. DORO PESCH, die wohl jeder kennen dürfte, unterstützt Lemmy gesanglich und sorgt damit erneut für Jubelstürme. Mit „Ace of Spades“ und „Overkill“ endet der Auftritt der lebenden Legenden, der viele nachdenklich zurücklässt. Auf der einen Seite ist es immer toll, Lemmy, „Wizzö“ und Mikkey Dee zu sehen. Auf der anderen Seite möchte man sie so kraftvoll in Erinnerung behalten, wie sie vor einigen Jahren noch waren.

Die trüben Gedanken können sich aber nicht lange halten, denn SLAYER haben es sich heute scheinbar zur Aufgabe gemacht, Wacken komplett zu zerlegen. Ich habe die weltbekannten Thrasher schon einige Male auf anderen Festivals gesehen, war aber bisher nie vollends überzeugt – bis jetzt. Von Anfang an lassen die Herren keinen Zweifel daran, wer hier die Chefs im Ring sind. Druckvoll, energetisch und präzise wie ein Uhrwerk hämmern sie sich durch ihr Set. Flammen und grelles, flackerndes Bühnenlicht konkurrieren mit dem brennenden Wackenschädel. Ein beeindruckendes Bild, welches perfekt zum SLAYER-Klassiker „Hell awaits“ passt.                   

Was Araya, King und Kollegen hier abliefern, ist mehr als amtlich. Zehntausende Fans rasten kollektiv aus und moshen, bis die Nackenmuskulatur nachgibt zu „War Ensemble“ und „Raining Blood“.
Als Abschiedssong haben sich die Kalifornier „Angel of Death“ ausgesucht, welcher die Geschichte von Josef Mengele, dem sogenannten Todesengel von Ausschwitz erzählt. Nach der Veröffentlichung im Jahr 1986 sorgte dieser Titel für ordentlich Furore. Hier und jetzt sorgt er für ordentlich viel Headbanging, einige Circle Pits und tosenden Jubel.

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Samstag 02.08.2014

Endspurt. Nach drei Tagen im Wüstenstaat Wacken lassen die Kräfte langsam nach. Und gerade die letzte Nacht war in den frühen Morgenstunden etwas unruhig. Vielen Dank nochmal an meine Mitcamper. Aber Schwamm drüber, wer auf ein Metalfestival geht, gibt sein Recht auf Nachtruhe am Eingang ab.

Also fix frisch gemacht und angestoßen und ab geht’s zu ARCH ENEMY. Ich freue mich auf den Auftritt, denn die neue Dame am Mikrofon Alissa White-Gluz habe ich bisher noch nicht live gesehen. Da die Securitys aber urplötzlich der Meinung sind, dass man bestimmte Abkürzungen für Journalisten nicht mehr nutzen darf, obwohl das die letzten Tage völlig okay war, muss ich einen Umweg machen und komme zu spät.
Alissas Organ hat man aber schon kilometerweit entfernt gehört. Sie steht ihrer Vorgängerin und guten Freundin Angela Gossow stimmlich um nichts nach und ist dazu auch noch ziemlich hübsch.

Das Energiebündel hüpft über die Bühne und fühlt sich sichtlich wohl. Die Connection zwischen ihr und den Fans stimmt. Begeistert werden alte und neue Songs mitgesungen und beklatscht. ARCH ENEMY haben auf jeden Fall einen guten Griff gemacht und mit Alissa eine würdige Nachfolgerin gefunden.

Arch-Enemy-wacken-2014

Habe ich übrigens erwähnt, dass es schon wieder unfassbar voll und eine Million Grad heiß ist? Irgendwie eine unpassende Stimmung für die sehr düsteren BEHEMOTH, die nun die undankbare Aufgabe haben, gegen die Mittagssonne anzuspielen. Mal im Ernst, wer hat das denn festgelegt? Egal, ich freue mich schon seit Wochen auf den Auftritt und wimmele mich ein weiteres Mal durch die Massen in Richtung Bühne. Im direkten Vergleich zu ARCH ENEMY ist es relativ leer.

Die Black Metaller versuchen alles, um die Fans von sich zu überzeugen und haben eine fette Setlist am Start. Unter anderem mit „Conquer All“, „The Satanist“ und „Ora pro nobis Lucifer“. Der Sound ist super und auch das Bühnenbild gut gewählt. Ein riesiges weißes Banner mit Logo ragt hinter den Musikern empor, welches bei „The Satanist“ schlagartig seine Farbe in Mitternachtsschwarz ändert. Ein schöner Effekt.
Doch es hilft alles nichts. Irgendwie will der Funke nicht überspringen. Black Metal im Hochsommer zur Mittagszeit ist einfach eine schwierige Kombination. Aus meiner Sicht trotzdem ein sehr starker Auftritt.

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Für einen krassen thematischen Kontrast zu den bitterbösen BEHEMOTH sorgt im Anschluss Spaßvogel und musikalisches Genie DEVIN TOWNSEND. Der Kandier ist wie immer bester Dinge und bringt in seinen Ansagen mehr Witz auf die Bühne, als so manch gut gebuchter Stand Up Comedian. Leider scheint es technische Probleme mit der LED Wand zu geben. Kurz vor dem Auftritt konnte man noch hinter dem Vorhang eine Animation von ZILTOID sehen, die während der Show nicht kommt. Stattdessen sieht man lange Zeit nichts und dann das Wacken-Logo. „By your Command“ muss also leider ohne den Horror-Muppet auskommen. Devin lässt sich davon nichts anmerken und zieht seine Show weiter durch.

Glücklicher Weise können die technischen Probleme behoben werden, so dass bei „Supercrush!“ das zugehörige, sehr schräge Musikvideo abgespielt werden kann. Wer es noch nicht kennt: Unbedingt mal anschauen. Bevor DEVIN mit „Grace“ von der Bühne geht, erinnert er noch einmal daran, dass wir uns alle gegenseitig schätzen und auf einander Acht geben sollen und ruft zu einer Gruppenumarmung auf. Wir leisten gerne Folge und fühlen uns irgendwie ganz wohlig. Hach, schön.

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Ich arbeite mich im Infield langsam von links nach rechts. Denn jetzt geht es weiter zur PARTY STAGE, um HATEBREED zu feiern. Die kleine Bühne hat den Vorteil, dass man näher rankommt und dadurch mehr von der Stimmung einfangen kann. Und die ist ausgezeichnet, als die New Yorker Hardcore-Band erscheint.
Neben harten Klängen sind die Musiker auch für ihren besonders harten Moshpit bekannt, der schon häufig zu Verletzungen führte. Hier bleibt es aber friedlich. Es gibt zwar einen Moshpit, aber dass der härter ist als andere, kann ich nicht behaupten.

Obwohl ich nicht viele Songs von HATEBREED kenne, reißen mich die Gitarrenrifs mit. Bei „Destroy everything“ beschließe ich, mich nun auch endlich mal auf Händen tragen zu lassen. Zack, geht es auf Richtung Bühne. Als sich direkt vor mir der Moshpit auftut, frage ich mich, ob die Idee wirklich gut war, aber ein paar starke Arme heben mich sicher über das Gefahrengebiet. Ja ich weiß, Crowdsurfer sind nervig, insbesondere ab einer gewissen Gewichtsklasse, aber es ist einfach ein tolles Erlebnis und ich kann absolut nachvollziehen, weshalb so viele Menschen die Gelegenheit bei Konzerten und Festivals nutzen.

Ohne Pause geht es weiter zu AMON AMARTH. Die Nordmänner rocken von Anfang an und setzen beinahe die Bühne in Brand durch den übermäßigen Gebrauch ihrer unverkennbaren Pyrotechnik. Wie auch sonst ist ihr großes Drachenschiff mit dabei. Bei Songs wie „Guardians Of Asgaard“, „Twilight Of The Thunder God“ oder „Death In Fire“ beziehen sie es in ihre Performance mit ein, indem sie darauf headbangen und das tun, was Nordmänner eben tun: Met trinken.

Apropos trinken: warum ist das Bier eigentlich schon wieder alle? Vor MEGADETH muss sich auf jeden Fall noch gestärkt werden. Und so eine kleine HANDBROTZEIT geht auf jeden Fall auch noch.

Nacht-wackenOb MEGADETH auf ihre alten Tage ein bisschen tüdelig werden, kann ich nicht beurteilen, aber es fällt im Publikum schon auf, dass beim Intro der Sound für gute zwei Minuten weg ist, ohne dass die Musiker es zu merken scheinen. Aber zugegeben, wenn der Sound aus den Monitoren noch funktioniert, merkt man das auf der Bühne auch nicht unbedingt. Als Ausgleich dafür geht die Nebelmaschine völlig unvermittelt und unpassend an. Vielleicht, um die Stille zu überbrücken. Kurz danach fällt der Bass aus.
Pleiten, Pech und Pannen, die nicht aufhören wollen. Oder ist es Absicht, dass pünktlich zu „Sweating Bullets“ die Stimme von Dave Mustaine runtergedreht wird? Naja, abgesehen von diesem anfänglichen Wirrwarr schlagen sich die MEGADETH sehr gut. 

Im Gegensatz zu den danach spielenden AVANTASIA. Sorry, aber ich kann mich einfach nicht an diese Band gewöhnen. Mal abgesehen davon, dass die stimmliche Leistung von Tobias Sammet ziemlich mau ist, wirken sie ein ganz klein wenig zu sehr von sich selbst überzeugt. Nach eigenen Angaben spielen sie gerade vor über 100.000 Leuten und lassen sich feiern, als wären sie AC/DC, METALLICA, IRON MAIDEN, ALICE COOPER und MOTÖRHEAD in einem. Und die Spielzeit von etwa zwei Stunden scheint nicht nur einen Teil des Publikums zu ermüden, auch die Musiker wirken irgendwann erschöpft und scheinen wenig Lust zu haben, ihre Show komplett zu spielen. Die letzten 20 Minuten zieht Tobias mit diversen Ansagen unnötig in die Länge. Vielleicht wollte er einfach keine weiteren Songs mehr spielen.

Camp Chaos und ich lassen den Abend im WASTELAND ausklingen, wo die Jungs ein letztes Mal Honey anschmachten können, und ein letztes Mal schleppen wir uns in Richtung Zelt. Müde, dreckig, mit schmerzenden Füßen, aber total glücklich.

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Es war wieder einmal großartig. Aber bei aller Freude sei ein bisschen Kritik erlaubt: Für ein 25jähriges Jubiläum hätte ich ein bisschen mehr Lametta erwartet. Irgendwie war es ein Wacken wie jedes andere und in der Retrospektive betrachtet, war das Line-Up im vergangenen Jahr aus meiner Sicht deutlich besser. Auch die neuen Standorte von Pressebereich und VIP-Campingplatz sind für Journalisten und Fotografen mehr als kontraproduktiv. Bitte noch mal überdenken, liebe Organisatoren.

Davon einmal abgesehen, ist das W:O:A immer wieder ein großartiges Erlebnis, was auch der Ticketverkauf deutlich belegt. Gerade einmal 12 Stunden hat es gedauert, die 75.000 Tickets für Wacken 2015 an den Mann zu bringen. Neuer Rekord.

Ihr habt das W:O:A 2014 auch besucht? Dann schaut euch unsere Impressionen der Camps und der Fans an. Vielleicht entdeckt ihr euch.

Vero

Gastautorin mit Wacken-Expertise

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